1213 - Comeback des Grusel-Stars
»Sie kennen mich?«
»Ja, natürlich.«
Das klang so völlig normal. Für mich blieb es noch immer verflixt ungewöhnlich. »Darf ich fragen, woher Sie mich kennen? Ich kann mich nicht erinnern, dass wir uns schon mal begegnet sind.«
»In der Tat nicht, Mr. Sinclair, was ich sehr bedauere. Aber ich denke nicht, dass wir dies alles hier draußen besprechen sollten. Treten Sie doch ein. Obwohl es ungewöhnlich ist, dass eine Frau unser kleines Reich betritt.«
»Wieso das?«
»Wir sind eine reine Männergesellschaft.« Er deutete eine Verbeugung an. »Bei Ihnen, Miss Sardis, mache ich natürlich gern eine Ausnahme.«
»Oh - wie reizend.«
Rosetti reagierte nicht auf den leichten Spott. Er trat zur Seite, damit wir den nötigen Platz bekamen, um an ihm vorbeizugehen.
Wir erlebten ein Haus, das mir zugleich wie eine Höhle vorkam, die allerdings von kleinen Lichtern erfüllt war. Keine Kerzen, sondern Lampen, die an den Wänden hingen oder auf Tischen und Kommoden standen. Um die Tische herum gruppierten sich Stühle, sodass wir den Eindruck hatten, uns in einem Aufenthaltsraum zu befinden.
Es war auch eine Treppe zu sehen, deren Stufen kaum vom Lichtschein beleuchtet wurden. Ich sah nur den Anfang. Der Rest verschwand in einem schwammigen Dunkel. Erst am Ende der Treppe schimmerte wieder ein hellerer Schein.
Jedes Haus hat seine bestimmte Atmosphäre. Das war auch hier der Fall. Ich schnupperte sie ein, ich wollte mir ein Bild machen können und achtete dabei sehr auf die Gerüche, die sich zwischen den Wänden verteilten.
Es roch nicht neutral. Ich merkte die Kühle, die mich umgab.
In ihr steckte ein bestimmter Geruch. Es war verrückt, aber ich hatte den Eindruck, eine Mischung zwischen Weihrauch und Ruß zu erleben.
Das war schon ungewöhnlich.
Diese äußeren Eindrücke drängte ich zunächst zur Seite, denn etwas anderes war viel wichtiger. Ich hatte noch immer keine Erklärung dafür gefunden, woher mich dieser Carlo Rosetti kannte, aber das wollte ich nachholen.
Ich merkte, dass er uns Plätze anbieten wollte. Diesmal kam ich ihm zuvor. »Bitte, Mr. Rosetti, Sie haben mich sehr überrascht, als ich aus Ihrem Mund meinen Namen hörte. Von dieser Überraschung habe ich mich noch nicht erholt. Dürfte ich erfahren, woher Sie mich kennen?«
»Ja, gern, das ist kein Geheimnis.« Er breitete die Arme aus wie ein Schauspieler auf der Bühne. »Unser gemeinsamer Freund Father Ignatius hat Sie mir beschrieben.«
Noch mal zuckte ich zusammen. Das war die zweite Überraschung in diesem Spiel. Ich hatte plötzlich den Eindruck, dass in diesem Fall einiges für mich vorbereitet war, und dass nur ich als einzige Person keinen Bescheid wusste.
»Sie sagten Ignatius?«
»Da haben Sie sich nicht verhört.«
Ich deutete ein leichtes Kopfschütteln an. »Bitte, woher kennen Sie ihn?«
»Denken Sie kurz nach, Mr. Sinclair, und halten Sie sich den Namen Carlo Rosetti vor Augen.«
»Er klingt italienisch.«
»Eben. Ich stamme aus Italien. Unser gemeinsamer Freund Ignatius lebt zwar im Vatikanstaat, aber man kann ihn durchaus zu Italien zählen. Daher kennt er mich.«
»Dann… sind Sie ein Priester?«
»Nicht ganz. Sagen wir so, ich habe mal Theologie studiert, aber das ist lange her. Ich arbeite für Father Ignatius. Ich gehöre gewissermaßen zum Außendienst.«
»Als Agent.«
»O nein.« Er schüttelte den Kopf. »So würde ich das wirklich nicht sehen. Ich mag den Ausdruck Agent nicht. Er klingt mir zu sehr nach Spionage und nach Action-Kino. Meine Aufgabe sehe ich doch ein wenig anders. Ich halte für Ignatius die Augen immer weit offen. Reise durch die Welt und halte hin und wieder an den verschiedenen Orten an. Das ist im Moment hier das Rest House. Es wird von einer Stiftung finanziert. Man kümmert sich hier um die älteren Menschen, die der Kirche lange gedient haben.«
Lilian hatte sich bisher zurückgehalten. »Das ist komisch«, sagte sie.
»Wieso?«
»Nun ja, das kommt mir nicht so vor, wenn ich ehrlich sein soll. Ich habe eher den Eindruck, dass dieses Rest House ziemlich leer ist. Es ist so still. Fast wie auf einem nächtlichen Friedhof.«
Rosettis Gesicht nahm einen bedauerlichen Ausdruck an. »Im Prinzip haben Sie ja Recht, Miss Sardis, nur dürfen Sie nicht vergessen, dass es den Menschen recht schlecht geht. Sie sind alt, die meisten gebrechlich, und so bleiben sie in ihren Zimmern und werden von sehr freundlichen Menschen betreut. Sie verschönern ihnen zumindest die letzten
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