1215 - Mich jagte die blonde Bestie
nicht wahr?«
»Wenn man es mit deinen Augen sieht, schon.«
»Das muss man. Es gibt in dieser Welt nur meine Augen, John. Alles andere kannst du vergessen. Sie wird zu deiner Heimat werden. Du lernst sie kennen, ob es dir passt oder nicht, denn dir bleibt keine andere Möglichkeit.«
»Genau«, meldete sich Justine Cavallo hinter mir.
Der Triumph in ihrer Stimme war mir nicht entgangen. Ich wollte mich zu ihr umdrehen, aber das brauchte ich nicht, weil sie schon auf mich zukam.
In diesem düsteren Haus war es nicht völlig finster. Aber es gab auch kein Licht. Zumindest keine offizielle Beleuchtung.
Ich befand mich in einer Welt aus Schatten, die nicht nur finster, sondern auch hell waren. Nur fiel es mir schwer, diese Helligkeit anzunehmen, die den Namen nicht verdiente. Sie war da, ohne dass ich eine Lichtquelle sehen konnte. Was sich da an Helligkeit ausbreitete, musste in den Schatten geboren sein und drang aus ihnen hervor, sodass es unterschiedliche Abstufungen von schwarzen und grauen Tönen gab. Das machte mich nicht blind in der kalten Vampirwelt, in der es keine Wärme und auch keine positiven Gefühle gab. Man konnte hier durchaus den Vergleich mit der Hölle ansetzen. Er wäre nicht verkehrt gewesen.
Justine blieb so dicht vor mir stehen, dass ich sie hätte anfa ssen können. Ich nahm ihren Parfümgeruch wahr. Es war ein besonderer Duft. Sehr süßlich, wie nach verfaulten Pflanzen riechend. Jedenfalls mochte ich ihn nicht.
Justine lächelte mich an wie eine Tigerin ihre Beute. Ich sah ihre beiden Vampirzähne, die sie nicht einmal zu stark entstellten. Die hellen Haare umgaben den Kopf wie eine geballte Ladung. In den dunklen Augen konnte ich nicht erkennen, was sie dachte. Sie waren einfach zu unergründlich.
Eine knallrote Hose aus Leder umspannte den Unterkörper.
Sie war so eng, als wäre sie auf die Haut gemalt worden. Im Kontrast dazu stand die schwarze Lederjacke, die nicht geschlossen war. Darunter trug sie eine ebenfalls dunkle Korsage aus Leder, die mit einem durchsichtigen Oberteil verbunden war.
Über ihre Figur konnte man nicht meckern. Sie passte perfekt in die für Männer gemachten Hochglanz-Magazine. Aber man sollte sich von ihrem Äußeren nicht täuschen lassen. Justine Cavallo war die perfekte Blutsaugerin und eine Partnerin, wie Mallmann sie sich nicht besser wünschen konnte.
Justine Cavallo verkörperte das, was sich Bram Stoker damals im viktorianisch regierten England vorgestellt hatte, in einer Zeit, als Erotik verdammt wurde und Maler sowie Schriftsteller die Fantasien ihrer Leser in Allegorien ausdrücken mussten, um nicht in den Kerker zu kommen. Wer wenig bekleidete Frauen malte oder über sie schrieb, der war gezwungen, Vergleiche aus der Mytho logie zu gebrauchen, um seine Botschaften transportieren zu können. Als Blutbraut konnte man schön und erotisch sein, aber nicht im Normalfall. Da standen dann die Sittenwächter davor.
Justine kam noch näher auf mich zu. Ihre Hände mit den langen Fingernägeln streckten sich mir entgegen. Zuerst kitzelte mich das feine Kratzen der Nägel auf der Haut. Dann fuhren ihre Fingerkuppen über mein Gesicht hinweg, und ich erlebte, dass sie keine Wärme beinhalteten.
Mich schauderte, und genau das machte Justine Spaß. Da sie kleiner war als ich, musste sie zu mir hochschauen. »Wir beide, John, werden verdammt viel Spaß miteinander haben.«
»Das glaube ich weniger.«
»Dir wird nichts anderes übrig bleiben, mein Freund. Schon bald sind Justine und John ein Paar. Hört sich nicht schlecht an - oder? Du glaubst gar nicht, wie viel Spaß man auch als Wesen der Nacht noch miteinander haben kann.«
»Ich liebe das Licht!«
»Dieses hier wird dir reichen.« Sie ließ ihre Hände wieder sinken und wandte sich an Mallmann. »Bleibt es dabei, oder hast du es dir anders überlegt?«
»Nein, ganz und gar nicht.«
»Und wann…«
»So schnell wie möglich.«
Auf diese Antwort hatte Justine gewartet. Sie lachte schallend auf. Es hätte mich nicht gewundert, wenn sie plötzlich zu tanzen angefangen hätte. Ich stand daneben, beobachtete die beiden und fragte mich, was sie vorhatten.
Auch jetzt tippte Dracula II richtig. »Ich sehe dir an, dass du wissen willst, wie es weitergeht?«
»Das möchte man immer. Außerdem wird es mir allmählich langweilig. Vampirwelten sind eben nichts für normale Menschen.« Ich schaute auf die Spiegelfläche und dachte darüber nach, ob sie das Tor war, um diese Dimension zu verlassen,
Weitere Kostenlose Bücher