1218 - Dämonenflucht
Geruch. Jetzt, wo sie sich konzentrierte, war er überall zu spüren. Sie erfasste ihn nicht in seiner Bedeutung, aber er drang von den Stufen hoch an ihre Nase und auch von den Wänden, die den Geruch ausströmten.
In ihrem Innern kochte es. Sie wollte nicht daran denken, dass ihre Pläne schon dahin waren, aber wenn sie sich selbst ehrlich gegenüber war, befand sie sich bereits auf dem Weg dorthin, denn sie hätte nie gedacht, auf einen Widerstand zu treffen.
Bisher hatte sie alles bekommen, was sie wollte. Das sollte auch jetzt so laufen, trotz der Widerstände. Diesmal ging sie vorsichtiger zu Werke. Sie überstieg die dritte Stufe einfach, trat auf die vierte, auf der sie sich wieder wohler fühlte, nahm sich dann die fünfte vor und legte eine Hand auf das Geländer.
Aus ihrem Mund drang ein gellender Schrei.
Plötzlich hatte sie das Gefühl, ein Mensch zu sein, der seine Hand in glühendes Feuer gehalten hatte. Sie jaulte noch mal auf, zog die Hand zurück und schaute sie sich trotz der schlechten Lichtverhältnisse an.
Ja, da war die Haut dunkler geworden. Wie verbrannt, und dabei hatte sie die Finger nur auf das Geländer gelegt, was einer völlig normalen Reaktion gleichkam.
Ihr Fluchen war mehr ein Zischen, was sich in der Stille doppelt so laut anhörte.
Warum war das Fleisch an der Hand verschmort? Warum war gerade ihr als Vampirin das passiert?
Es gab nur eine Antwort. Jemand hatte dieses verdammte Geländer und die Treppe gleich mit präpariert. Wahrscheinlich war sie für Vampire nicht mehr zugänglich. So etwas hatte sie noch nie zuvor erlebt. Aber sie fand auch jetzt einen Grund für den Geruch, der ihr so ätzend und beißend in die Nase stieg.
Was immer auf dem Geländer und der Treppe lag, war für Menschen positiv, nur nicht für Vampire. Da gab es nicht viel, was infrage kam. Ein Begriff schoss ihr durch den Kopf. Sie hasste ihn, sie wagte nicht einmal, ihn auszusprechen, aber sie musste sich trotzdem mit ihm befassen.
Weihwasser!
Ihre potentiellen Opfer waren verdammt schlau gewesen. Sie hatten sich auf sie einstellen können und wahrscheinlich die gesamte obere Etage zusätzlich präpariert, sodass sie nicht an sie herankam.
Das war für Justine Cavallo eine völlig neue Erfahrung. Sie brauchte das Blut. Es war so nahe, und trotzdem so weit entfernt wie ihr nächtlicher Begleiter, der Mond.
Zum ersten Mal war die blonde Bestie ratlos. Sie stand da und wusste nicht, was sie unternehmen sollte. Oben lauerte das Fleisch, in das sie ihre Eckzähne hacken konnte. Da floss wunderbar frisches und warmes Blut durch die Adern, aber der Weg dorthin war durch unüberwindbare Hindernisse versperrt.
Noch einmal wollte sie die Hand nicht auf das Geländer legen. Aber sie konnte sich auch nicht vorstellen, aufzugeben.
Ihre Gier war einfach zu groß.
Justines Gedanken überschlugen sich. Es wäre eine Möglichkeit gewesen, die lange Treppe mit einem einzigen Sprung hinter sich zu lassen, denn die dazugehörige Kraft steckte in ihr. Aber sie wusste nicht, was sie oben in der Dunkelheit erwartete und ob der Flur dort nicht ebenfalls präpariert war.
Vielleicht lauerten sie auch in der Dunkelheit auf sie und warteten nur darauf, dass sie sich zeigte. Eine verräterische Bewegung hinter der letzten Stufe sah sie nicht, aber das musste nicht unbedingt etwas bedeuten. Wer gegen Vampire kämpfte, der wusste schon, wie er sich zu verhalten hatte.
Justine senkte den Kopf, um sich die Stufen noch einmal anzuschauen. Wenn es tatsächlich Weihwasser war, mit dem sie besprenkelt worden waren, dann konnte es auch sein, dass ein Teil davon schon verdunstet war. Eine vage Möglichkeit, die sie jedoch nicht außer Acht ließ, und deshalb wollte sie auch einen Versuch wagen.
Nur nicht mehr in der Stufenmitte auftreten. Sie hob ein Bein - diesmal das linke - und versuchte es am Rand der nächsten Stufe. Wieder rechnete sie mit dem scharfen Schmerz und hätte beinahe laut aufgelacht, als dieser nicht eintrat.
Das war gut.
Bei der nächsten Stufe würde sie es wieder so versuchen.
Diesmal an der anderen Seite.
Den Fuß hatte sie schon angehoben, als aus der Höhe ein Geräusch an ihre Ohren drang. Es war keine Stimme, denn es hatte sich angehört, als wäre eine Tür vorsichtig ins Schloss gezogen worden. Dem Geräusch folgte ein zweites, das gleich klang.
Wieder eine Tür?
Justine ärgerte sich über die verdammte Dunkelheit, die selbst ihre Augen nicht durchdringen konnten. Aber sie sah einen ersten
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