1219 - Die Abrechnung
Limoux.
Es war gut, dass sie auf die Tankanzeige schaute. Zwar wäre sie mit dem Inhalt noch bis Alet-les-Bains und auch weiter gekommen, aber sie dachte auch an den Rückweg, den sie nicht mit halbleerem Tank fahren wollte. Deshalb bog sie auf das Gelände einer größeren Tankstelle ein und stoppte vor einer der Säulen.
Sie war froh, sich bewegen zu können. Während des Ta nkvorgangs ließ sie die Tasche nicht aus den Augen und sah sich auch in der näheren Umgebung um.
Es herrschte nicht viel Betrieb. Ihr Blick glitt hinein in das freie Gelände, und sie entdeckte auch einen Wegweiser, auf dem der Name Alet-les-Bains zu lesen war. Sie konnte auf der Straße nach Süden bleiben. Es waren wirklich nur ein paar Kilometer, und sie lag gut in der Zeit.
Der Tankstelle angeschlossen war ein kleines Bistro. Als Sendrine zahlte, spürte sie den Hunger und auch den Durst. Da sie gut in der Zeit lag, konnte sie sich eine kleine Mahlzeit leisten.
Eine Minute später hatte sie das Bistro betreten, in dem die runden Tische mit den hohen Hockern standen. Man musste sich die kleinen Mahlzeiten selbst holen.
Sendrine entschied sich für ein mit Käse, Tomaten und Sala tblättern belegtes Baguette, trank einen Kaffee ohne Milch und stellte auch eine Flasche Wasser auf ihr Tablett. Sie fand einen leeren Tisch in der Nähe des Fensters, aß und trank in aller Ruhe und wunderte sich selbst darüber, wie ruhig sie war.
Was sie vorhatte, erforderte verdammt gute Nerven. Selbst von einem Profi.
Das war sie nicht, aber sie zitterte auch nicht. Dieser van Akkeren hatte ihr einen regelrechten Push verpasst und auch ihre innere Einstellung völlig verändert. Dass sie bereit war, zahlreiche Menschen umzubringen, kam ihr nicht in den Sinn.
Sie musste es tun, man verlangte es von ihr, und damit war für Sendrine Bloch die Sache erledigt.
Es war für sie ein neuer Lebensweg, den sie beschritten hatte.
Von nun an würde alles anders werden.
Das Bistro war schwach besucht. Deshalb fiel ihr die Bewegung an der Tür auf. Ein Mann betrat den Raum. Er war ein Chinese, der seine dünne Lederjacke locker über die Schulter gelegt hatte und kurz nach der Tür stehen blieb.
Er schaute sich um.
Dabei bewegte er kaum den Kopf. Aber die Augen nahmen jedes Detail wahr. Für einen Moment schweifte der Blick auch über Sendrine hinweg, und sie spürte ein leichtes Kribbeln auf der Haut. Woher es stammte, konnte sie auch nicht sagen. So etwas war ihr sonst nicht passiert. Sie hatte den Chinesen noch nie zuvor gesehen, er tat ihr auch nichts, aber sie wusste genau, dass er ein besonderer Mann war. Das entnahm sie seinem Blick und seinen Bewegungen, die sehr sicher wirkten. Er ging an ihr vorbei und suchte sich ebenfalls einen Platz am Fenster aus. Die Sonne schien nicht allzu stark durch die Scheibe, weil Jalousien sie daran hinderten.
Der Chinese nahm einen Tee und aß ebenfalls ein Baguette.
Es war alles so schrecklich normal, und Sendrine hätte ihm auch keine weiteren Blicke gegönnt, aber sie konnte nicht anders. Sie musste immer wieder den Kopf heben und auf seinen Rücken schauen. Etwas war mit dem Mann. Das spürte sie, aber sie stand auch nicht auf, um ihn anzusprechen.
Außerdem war er dabei, sein Handy hervorzuholen und zu telefonieren. Er musste auf seinen Gesprächspartner warten.
Dann aber war er froh, ihn erreicht zu haben, denn er lachte bei seiner Begrüßung.
Er war kein Franzose, denn er sprach Englisch. Sendrine hätte bestimmt verstanden, was der Mann sagte, aber er sprach leider zu leise und redete auch nicht lange.
Zudem aß er schneller als sie. Sendrine trank ihr Wasser in langsamen Schlucken. Sie ließ den Chinesen dabei nicht aus den Augen, der allerdings mit sich und der Welt zufrieden zu sein schien und sich nicht einmal misstrauisch umschaute.
Schließlich rutschte er vom Hocker und wollte gehen. Dabei schaute er sich wieder um - und plötzlich trafen sich die Blicke der beiden fremden Menschen.
Sendrine schaffte es nicht schnell genug, den Blick zu senken.
Für einen Moment fühlte sie sich von den Augen gebannt oder wie festgenagelt. Ein warmer Strudel durchströmte sie. Das Blut stieg ihr in den Kopf. Irgendwie fühlte sie sich ertappt.
Sie bekam ein kurzes, neutrales Lächeln zugeschickt, dann drehte sich der Mann um und ging mit langen Schritten auf den Ausgang zu.
Sendrine Bloch schaute ihm nach. Sogar noch, als er draußen an der großen und bis zum Boden reichenden Scheibe vorbeiging. Der Chinese
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