122 - Der Geisterwolf
schwieg und stierte an mir vorbei.
Ich wollte wissen, worauf sein Blick gerichtet war, und drehte mich um. Mir fiel eine Fotografie in einem Metallrahmen auf. Sie stand auf dem Kaminsims. Ich ging und holte sie.
»Lassen Sie das Bild stehen, Ballard!« schrie Wannamaker.
»Ah, Sie haben Ihre Stimme wieder«, gab ich frostig zurück. »Hübsches Mädchen. Wie heißt sie?«
»Claudette O’Hara.«
»Sie liebt Sie.«
Wannamaker senkte den Blick. »Das ist vorbei,«
»Sie hat sich von Ihnen getrennt? Moment mal… Mußte der Mann im Kaufhaus etwa ihretwegen sterben?«
»Sie kombinieren hervorragend«, sagte Wannamaker gallig..
»Das ist eines der Dinge, die ein Privatdetektiv beherrschen muß«, erwiderte ich. »Wie hieß der Mann, den Sie erschossen haben?«
»Clark Dern.«
»Dern hat Ihnen Claudette ausgespannt, da sahen Sie rot, luden Ihre Kanone und zogen los, um es dem Rivalen zu besorgen, wie?«
»Ich mußte es tun.«
»Hätten Sie Claudette auch noch erschossen? Oder haben sie das bereits getan?«
Wannamaker ließ die Schultern hängen. »Sie verstehen nichts, Mr. Ballard, gar nichts.«
»Sie haben recht. Ich kann wirklich nicht verstehen, wie man zur Waffe greifen kann, wenn einem die Freundin den Laufpaß gibt. Das kommt jeden Tag vor. Würden alle Verlassenen immer gleich um sich schießen, wäre die Welt im Handumdrehen ein Schlachtfeld.«
»Dern war schuld daran, daß mich Claudette nicht mehr lieben kann«, behauptete Jack Wannamaker.
»Sie hätten sich damit abfinden müssen. Mord ist keine Lösung, Mr. Wannamaker.«
»In diesem Fall schon. Es stimmt, ich hatte vor, auch Claudette zu erschießen. Mir wäre das Herz dabei gebrochen, aber ich hätte es getan, weil einer es tun muß.«
»Ich hoffe. Sie nehmen es mir nicht übel, wenn ich an Ihrem Verstand zweifle, Wannamaker«, sagte ich.
Der Killer setzte sich mit einem jähen Ruck gerade. Ich glaubte, er wollte aufspringen, und wich zurück, aber er blieb sitzen und sagte mit tränennassen Augen: »Clerk Dern mußte sterben, weil er Claudette zur Werwölfin machte.«
***
Nun guckte ich wohl ein bißchen belämmert aus der Wäsche. »Würden Sie das wiederholen, Mr. Wannamaker?«
»Dern war ein Werwolf. Er gab den Wolfskeim an Claudette O’Hara weiter, deshalb darf auch sie nicht am Leben bleiben. Heute nacht ist Vollmond, der letzte in diesem Jahr. Claudette wird sich verwandeln und Jagd auf Menschen machen. Sie kann mich nicht mehr lieben, denn sie ist ein Lykanthrop. Vielleicht kommt sie zu mir, um mich zu zerfleischen. Ich habe sehr viel über Werwölfe gelesen, Mr. Ballard. Ich weiß, wie sie vorgehen und zu welchen Grausamkeiten sie fähig sind. Mir ist klar, daß niemand mir glaubt, aber die grauenvollen Ereignisse, die uns bevorstehen, werden beweisen, daß ich die Wahrheit gesagt habe. Die Munition, die Sie aus meinem Revolver genommen haben… Sehen Sie sie sich an. Es handelt sich um geweihte Silberkugeln, Es war nicht, einfach, sie aufzutreiben, aber ohne sie hätte ich es nicht geschafft, Clark Dern unschädlich zu machen. Rufen Sie meinetwegen die Polizei an. Man wird mich als Mörder vor Gericht stellen und zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilen. Ich selbst aber bin mir keiner Schuld bewußt. Ich habe keinen Menschen erschossen, sondern ein Ungeheuer, das in dieser Nacht mit Sicher, heit schrecklich gewütet hätte.«
Ich holte die Patronen aus der Tasche. Wannamaker hatte die Wahrheit gesagt. Es waren in der Tat Silberkugeln, »Wie sind Sie hinter Cark Derns Geheimnis gekommen?« fragte ich und legte die Patronen auf den Tisch.
»Claudette hat es mir verraten. Sie arbeitete bis vor kurzem im Kaufhaus in Derns Abteilung. Er lud sie zu sich auf einen Drink ein. Er hatte das schon öfter getan. Es war immer ganz harmlos gewesen, deshalb hatte sie auch diese Einladung nicht abgelehnt. Sie erzählte mir, er habe sich als Wolf verkleidet und ihr einen Mordsschrecken eingejagt. Es sei ihr gelungen zu fliehen, aber er habe sie gekratzt. Durch diese Wunde wurde Claudette infiziert. Sie habe sich selbst gesehen, als Wölfin, auf der Jagd nach Menschen, Sie hatte in diesem Traum kein Opfer gerissen, aber heute nacht wird es dazu kommen. Wie ich schon sagte, ist dies die letzte Vollmondnacht des Jahres, Da gehen diese blutrünstigen Ungeheuer ganz besonders aus sich heraus. Sie rotten sich zu Rudeln zusammen und ziehen los, und ihre Blutspur reißt nicht ab. In der letzten Vollmondnacht wüten sie schrecklicher als sonst. Ich
Weitere Kostenlose Bücher