122 - Der Geisterwolf
das Licht auf, und ich sah kurz Wannamaker. Ich sprang zurück und ging hinter einer großen Bodenvase in Deckung.
Nun wußte ich, daß ich an der richtigen Adresse war. Jack Wannamaker war der Mann, der im Kaufhaus kaltblütig einen Mord verübt hatte.
Vielleicht ist er gar nicht verrückt, ging es mir durch den Kopf. Vielleicht ist er ein Berufsmörder, der gedungen wurde, jenen Mann zu erschießen,
***
Wannamaker war nervös, seine Hände zitterten; jene Hände, mit denen er getötet hatte. Er hob sie, um sie zu betrachten, und es fiel ihm nicht leicht, mit dem, was er getan hatte, fertigzuwerden.
Er trat vor einen Wandspiegel. Der junge Mann mit der niedrigen Stirn und den grauen Augen kam ihm fremd vor. Diese Kummerfalten in seinem Gesicht hatte es früher nicht gegeben.
Aber jetzt waren sie da, und er würde sie nie wieder loswerden. Was geschehen war, hatte ihn altern lassen. Er fühlte sich nicht mehr wie 24, sondern mindestens doppelt so alt.
Jetzt trat er näher an den Spiegel heran, umklammerte den Holzrahmen mit den Händen und blickte sich in die flackernden Augen.
»Was hast du getan?« fragte er sein Spiegelbild. »Wirst du damit leben können? Die Polizei wird dich suchen. Viele Menschen haben dich gesehen. Man wird ein Phantombild anfertigen, das so gut sein wird wie eine Fotografie. Fernsehen und Zeitungen werden es bringen, und im Handumdrehen wird die Polizei deinen Namen kennen. Irgend jemand wird dich verraten. Dann werden sie kommen und dich abholen, und wenn du dich wehrst, werden sie dich töten. Die fackeln nicht lange mit einem Killer.«
Er ließ den Spiegelrand los und ging ins Wohnzimmer. Er machte Licht und zog den Revolver aus dem Gürtel. Angewidert betrachtete er die Waffe, dann warf er sie auf das geblümte Sofa und begab sich zur Hausbar, um sich einen Drink zu nehmen.
Er brauchte jetzt einen doppelten Gin, damit sich seine Nerven beruhigten. Nachdem er den ersten Schluck gemacht hatte, sagte er leise: »Ich mußte es tun, aber niemand wird mir glauben. Anstatt mich wie einen Helden zu feiern, wird man mich einsperren. Entweder ins Gefängnis oder in eine Irrenanstalt. Aber frei herumlaufen darf Jack Wannamaker nicht mehr. Schließlich hat er vor vielen Zeugen den redlichen Bürger Clark Dern erschossen.«
Er trank wieder und dachte an den Mann, auf den er im Parkhaus geschossen hatte. Das war nicht mehr als ein Schreckschuß gewesen. Wenn er den Mann hätte treffen wollen, dann hätte er ihn auch getroffen. Er war im Schützenverein einer der Besten.
Er fragte sich, ob es ihm tatsächlich gelungen war, den Verfolger abzuhängen. Oder hat der Fuchs mich ausgetrickst? überlegte er.
Er goß sein Glas noch einmal voll, begab sich zum Schalter, um das Licht zu löschen. Dann lehnte er sich an die Wand und nuckelte an seinem Schnaps.
Am vernünftigsten wäre es wohl gewesen, wenn er die Polizei angerufen und gesagt hätte: »Mein Name ist Jack Wannamaker. Ich habe um 17.45 Uhr Clark Dern erschossen.«
Er hätte auch gleich zur Polizei gehen und sich stellen können, denn kommen würde sie sowieso. Damit hätte er die entnervende Wartezeit abgekürzt.
Andererseits… Vielleicht hatte er Glück, und die Menschen konnten sich an sein Aussehen nicht erinnern. Sie waren geschockt gewesen, und er hatte nicht unbedingt ein Gesicht, das man sich sofort merkte.
Morgen würde er wissen, wie die Dinge um ihn standen. Er spekulierte mit dem Gedanken, sich abzusetzen. Noch war Zeit dazu. Der Polizeiapparat, lief für gewöhnlich langsam an.
Bis er auf Touren kam, vergingen einige Stunden. Bis dahin könnte ich über alle Berge sein, dachte Wannamaker. Aber es widerstrebte ihm, fortzulaufen und sich zu verstecken.
Ein Orden gebührte ihm für das, was er getan hatte. Jawohl, ein Orden!
Er blickte zum Sims des offenen Kamins, der mehr oder weniger ein Zierstück war, denn die Wärme kam über die Radiatoren der Zentralheizung in den Raum.
Wannamakers Augen hatten sich an die Dunkelheit soweit gewöhnt, daß er den Metallrahmen auf dem Sims schimmern sah. Das Bild konnte er nicht sehen, aber er hatte es dennoch deutlich vor Augen.
Die Fotografie eines jungen hübschen Mädchens, blond, mit dem bezauberndsten Lächeln, das jemals von einer Fotolinse eingefangen wurde.
Und schräg über das Bild hatte dieses Mädchen geschrieben: »Ich liebe Dich. -Claudette.«
Jack Wannamakers Kehle wurde eng. Er brauchte sofort wieder einen Schluck. Am liebsten hätte er sein Glas gegen die Wand
Weitere Kostenlose Bücher