1221 - Geschäft mit der Angst
die Geräusche. Dieses Trippeln, das Kratzen der Füße auf dem Boden, und all dies spielte sich im Unsichtbaren ab. Es waren eben die hörbaren Albträume, die ihr Gegenüber durchlitt und woran er auch nichts ändern konnte.
Lisa wusste nicht, wohin sie schauen sollte. Zur Tür hin oder zu Brian Watson. Ihn sah sie, die Ratten nicht. Von ihnen hatte sie nur gehört.
Brian saß zwar auf dem Stuhl, aber er hatte seine Haltung noch mehr verändert.
Vorgedrückt, die Hände auf seine Oberschenkel gelegt, starrte er den Ratten aus großen Augen entgegen, die er zwar hörte, aber nicht sah. Sie waren in einer Reihe gekommen, und jetzt verteilten sie sich in der Küche, das war genau zu hören.
Sie fächerten auseinander. Keiner von ihnen wusste, auf welchen Teil er sich konzentrieren sollte. Die Tiere waren nach rechts und links zur Seite gehuscht, und plötzlich war das Kratzen ihrer Füße nicht mehr nur auf dem Boden zu hören, sondern auch am Holz der Möbelstücke.
Wenn es alles stimmte, was Lisa Farrango da zu Ohren kam, dann waren sie dabei, an den Außenseiten der Schränke in die Höhe zu klettern und alles in ihren Besitz zu nehmen.
Sie huschten über die Arbeitsplatte hinweg. Sie kletterten auf die Regale und berührten dabei die Töpfe, Teller, Kannen und auch Tassen. Wieder bewegten sie sich, und Lisa konnte das alles nicht glauben. Sie saß auf ihrem Stuhl wie ein Denkmal.
Sie starrte nach vorn, und ihr Mund stand offen.
Brian zog kichernd seine Schultern hoch und ließ sie wieder sinken. Er schielte zur Seite, damit er Lisa Farrango anschauen konnte. »Hörst du sie jetzt besser? Ich kenne das. Es ist meine Angst vor den Ratten. Vor der Klinik habe ich einfach nur Angst vor ihnen gehabt. Dann war ich beim Meister, und er hat mich in meine Angstwelt hineingeführt. Direkt hinein, sodass ich alles genau sehen konnte. Da habe ich sie erlebt und gehört. Auch gespürt. Und jetzt habe ich diese Welt mitgenommen. Es sind meine Ängste. Sie schaffen es, die Ratten aufzubauen. Alles, was du hier hörst, ist wahr. Es stimmt, Lisa, es stimmt zu hundert Prozent.« Er schüttelte sich und riss die Hände vors Gesicht, als wollte er sich vor einem plötzlichen Überfall der unsichtbaren Tiere schützen.
Lisa Farrango war nicht in der Lage, auch nur ein Wort zu sprechen. Sie saß auf dem Stuhl, dessen Fläche sich für sie in ein Nagelbrett verwandelt hatte. In den letzten langen Minuten war etwas über sie gekommen, bei dem sich ihr Gehirn weigerte, es zu akzeptieren. Das wollte sie einfach nicht.
Deshalb versuchte sie auch, einen Riegel vor ihr Denken zu schieben. Eine innere Stimme riet ihr, alles nicht so schlimm und tragisch zu nehmen. Dennoch wusste sie, dass dem nicht so war. Es gab keinen Albtraum. Es entsprach alles den Tatsachen, die sie hier auf brutale Art und Weise durchlebte.
Da Brian nicht mehr sprach, war sie auch nicht abgelenkt. Sie konnte sich wieder auf das konzentrieren, was um sie herum geschah, aber noch immer nicht sichtbar war.
Dafür hörte sie es. Jetzt deutlicher als zuvor, das zumindest glaubte sie.
Das Trappeln, das Trippeln, das Kratzen der kleinen Füße. Es war auch nicht nur auf einen Platz innerhalb der Küche beschränkt und hatte sich ebenfalls nicht in zwei Richtungen verteilt. Die Ratten hatten die gesamte Küche eingenommen, und man konnte behaupten, dass sie überall waren.
Wohin sie den Kopf auch drehte, wohin sie lauschte, es drang stets von allen Seiten auf sie zu, und sie hatte selbst das Gefühl, von den Ratten berührt, angefallen, aber nicht gebissen zu werden. Ihre Haut juckte an den verschiedensten Stellen. Sie spürte den Reiz an ihren Beinen. Zuerst an den Waden, dann weiter oben. Über die Oberschenkel glitt er hinweg, erreichte den Bauch, die Hüften, die Brüste, sogar das Gesicht und machte vor ihren Haaren nicht Halt.
Unsichtbare Tiere kratzten und krochen so widerlich über ihren Körper hinweg. Es war für sie beinahe schon eine Strafe, so starr sitzen zu bleiben. Aber sie riss sich zusammen, denn sie wollte sich die Haut auf keinen Fall blutig schaben.
Dabei ging es Brian viel schlechter. Er litt unter den Attacken aus dem Unsichtbaren. So schaute sie zu, wie er immer wieder seine Fäuste nach vorn drosch und durch diese Schläge versuchte, die ihn anspringenden Ratten, von denen keine zu sehen war, abzuwehren.
Ein heimlicher Beobachter hätte möglicherweise aufgrund dieser grotesken Bewegungen gelacht, nur war Lisa alles andere als nach
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