1224 - Das Herz der Hexe
schmales Gesicht, vielleicht eine etwas zu kleine Nase, von der mal ein Freund behauptet hatte, sie wäre wohl abgebrochen, woraufhin sie diesen Freund in die Wüste geschickt hatte. Sie brauchte keine Männer. Die Arbeit und die Mathematik waren ihr eigentlich immer genug gewesen, und trotzdem hatte sie ihre Attraktivität nicht verloren und war keinesfalls in das Dasein des grauen Mauerblümchens hineingerutscht. Nur mit ihrer Figur kam sie nicht zurecht. Sie hätte gern zehn Pfund weniger gewogen, doch ihre Mutter war auch nicht eben die Schlankheit in Person gewesen, und Rundungen an den richtigen Stellen hatten auch etwas für sich.
Die Sache mit dem Herzen war schlimm gewesen. Es hatte sie erwischt wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Mitten in der Arbeit. Plötzlich war es vorbei gewesen. Sie war umgekippt.
Notarzt, Krankenhaus, Operation, Transplantation, das alles hatte sie wie einen Traum erlebt. Zwischendurch hatte sie gedacht, dass sie nie wieder auf die Beine kommen würde, aber sie hatte sich geirrt. Sie war auf die Beine gekommen. Sie lebte. Es ging ihr nicht schlecht. Nur daran, dass in ihrem Körper jetzt das Herz einer fremden Person schlug, musste sie sich erst noch gewöhnen.
Ja, das Herz einer Fremden.
Nicht das einer Bekannten. Sie hatte alles darangesetzt, um zu erfahren, wem das Herz mal gehört hatte. Niemand hatte ihr eine Antwort gegeben, auch nicht die Ärzte, die es wissen mussten, es jedoch nicht zugaben und nur die Schultern gehoben hatten.
Das war nicht gut. Es machte sie nervös und vor allen Dingen neugierig. Amy Madson gab auch zu, dass sie äußerlich so aussah wie immer, jedoch innerlich eine andere Person geworden war. Das konnte nicht nur am Herzen liegen, wenn sie rational darüber nachdachte. Sie hatte mehr den Eindruck, als wäre mit dem Einpflanzen des Herzens noch etwas anderes in sie implantiert worden, das mit einem neuen Herzen überhaupt nichts zu tun hatte.
Andere Gefühle oder eine andere Seele?
Darüber hatte Amy schon nachgedacht, aber die Mathematikerin Dr. Amy Madson konnte sich überhaupt nicht vorstellen, dass eine derartige Theorie auch praktikabel war. Das gab es in der Wirklichkeit nicht. Das waren Spekulationen.
Und trotzdem - hin und wieder dachte sie an die Möglichkeit, von einer anderen Kraft gelenkt zu werden, aber das zu realisieren, fiel ihr nicht einfach.
Auch wenn sie mehr als einmal den Beweis in Form dieser fremden Gedanken erhalten hatte.
Amy betrachtete ihre Augen und fragte sich, ob sich deren Ausdruck und Aussehen verändert hatten. Sie hatte mal gelesen, dass eine Veränderung des Menschen an den Augen abgelesen werden kann, doch bei sich selbst entdeckte sie nichts.
Nach wie vor besaßen sie die braune, etwas unergründlich erscheinende Farbe, die sich seit den Tagen der Kindheit nicht verändert hatte. Damit hatte es nichts zu tun.
Töten und Spaß dabei haben!
Wieder überfiel sie dieser böse Gedanke wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Sie konnte ihm einfach nicht entwischen.
Sie konnte ihn auch nicht wegdrängen, denn er war einfach da und blieb, das sah sie an den Veränderungen der Augen, denn urplötzlich war ihr Blick ein ganz anderer geworden.
Dunkler, auch kälter. Es war, als hätte sich das, was neuerdings in ihrem Innern steckte, öffentlich gezeigt. Amy rann ein Schauer über den Rücken. Sie verspürte auch den Wunsch, fluchen oder schreien zu müssen, doch sie hielt sich zurück.
Jetzt waren nur die Augen wichtig. Sehr wichtig. Schattig und irgendwie unheimlich. Fremd sowieso.
Sie zog die Lippen auseinander und grinste sich selbst im Spiegel zu. Da hatte sie das Gefühl, etwas Tierisches in ihr Gesicht zu bekommen. Anders konnte sie den Ausdruck nicht einstufen.
Töten, nur töten!
Die Gedanken blieben, und sie bereiteten ihr alles andere als Kummer. Freude kam in ihr auf, und sie dachte plötzlich an die Hölle, an den Satan oder den gefallenen Engel, der Hexen mochte und mit ihnen die perversesten Dinge anstellte.
Noch vor einem Vierteljahr hätte sie darüber gelacht. So einen Unsinn konnte sie als Naturwissenschaftlerin nicht für bare Münze nehmen. Jetzt war ihre Denkweise umgekehrt worden, und plötzlich fand sie diesen Gedanken nicht mehr befremdend.
Nur das Gesicht blieb.
Kein Schatten schob sich darüber. Nichts drang von innen nach außen, aber sie blieb dabei, dass sie eine andere geworden war, und sie freute sich schon auf Mayri. Die Kleine kam immer, um nach ihr zu schauen und ihr eine gute
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