1224 - Das Herz der Hexe
wollte einen Beweis bekommen. Zugleich allerdings fürchtete sie sich auch davor. Möglich war alles. Als Naturwissenschaftlerin hatte sie eine andere Denkweise. Sie bestand zwar jetzt auch noch, doch daneben hatte sich eine Welt aufgebaut, über die sie zuvor nicht nachgedacht hatte. Es wäre ihr zudem nie in den Sinn gekommen, darüber nachzudenken. Alles lief ab jetzt anders.
»Warum zögerst du? Hast du Angst?«
»Ja, kann sein. Ich habe Angst.«
»Vor wem denn?«
»Vor einer Toten, die lebt.«
»Die aber zugleich auf deiner Seite steht.«
»Das weiß ich jetzt. Du hast mich ja geführt, aber ich kann es nicht fassen.«
»Ich habe einen Helfer. Es ist derjenige, der die Welt in Wirklichkeit beherrscht.«
»Und wer ist das?«
»Der Teufel!«
Für einen winzigen Augenblick war die Kälte da, die sich in Amys Körper eingrub. Abermals zweifelte sie fast an ihrem Verstand. Der Teufel war für sie bisher jemand gewesen, bei dem sie nicht von einer Existenz sprechen wollte. Zahlen waren existent. Berechnungen ebenfalls, aber nicht der Teufel oder der Satan. Um den sollten sich andere kümmern, aber auf keinen Fall sie.
Andererseits war sie auch nicht gläubig gewesen. Keine Atheistin, das nicht, aber die Kirche war einfach nie ihr Ding gewesen. Da hatte sie sich nicht wohlgefühlt. Dabei spielte es auch keine Rolle, welcher Glaubensrichtung jemand angehörte.
Sie hatte ihr Leben nach naturwissenschaftlichen Gesetzen geführt und nur an das geglaubt, was erklärbar war. Ansonsten hatte sie sich gesagt, dass das heute Unerklärbare irgendwann einmal erklärbar gemacht wurde, und daran hatte sie sich immer hochgezogen. Das war immer ihr Credo gewesen.
Und nun wurde sie mit Gesetzen konfrontiert, denen sie nicht zustimmen konnte, deshalb schüttelte sie auch den Kopf und hörte noch in der Bewegung das Lachen.
»Was hast du? Willst du mir nicht glauben?«
»Ich kann es nicht!«
»Warum nicht?«
»Ich… ich… habe nie den Dualismus in dieser Welt ane rkannt. Für mich war bisher alles berechenbar und…«
»Auch der Infarkt und der Zusammenbruch?«
»N… nein«, gab sie kleinlaut zu, um bei den nächsten Worten wieder etwas mehr Sicherheit zu finden. »Aber das Spenderherz schon, denn es zu transplantieren ist eine medizinische und auch naturwissenschaftliche Meisterleistung.«
»Auch beim Herz einer Hexe?«
»Ja, auch da.«
Amy vernahm wieder das spöttische und überheblich klingende Lachen. »Aber Hexenherzen schlagen anders, und sie sind etwas ganz Besonderes. Das habe ich dir bewiesen. Sie transportieren nicht nur Blut, sondern auch eine Botschaft, die uralt ist und die nun in dir steckt. Durch sie sind wir für alle Zeiten miteinander verbunden.«
Das wusste Amy, aber sie wollte nicht länger darüber nachdenken. Sie sprach die letzte Frage wieder ins Leere hinein, so wie die anderen zuvor auch.
»Warum hast du das Herz gespendet?«
»Ho, das ist sehr leicht. Ich habe mich einfach auf die Spenderliste setzen lassen.«
»Das ist mir nicht genug.«
»Ja, ich weiß, Amy. Du möchtest immer Erklärungen haben. Die bekommst du auch, keine Sorge. Ich werde sie dir geben. Ich hatte Vertrauen in den Teufel, Amy. Er hat mir, er hat all uns Hexen, die wir ihm dienten, das große und das immerwährende Leben versprochen. Egal, was auch mit uns geschieht. Und da habe ich mich eben auf die Spenderliste setzen lassen, das ist alles gewesen.«
»Nein, ist es nicht. Du musst dazu tot sein. Oder hat man dir das Herz bei lebendigem Leib aus der Brust gerissen?«
»Wie kannst du das nur denken, Amy? Bei mir ging alles fürchterlich normal zu. Ich bin gestorben. Offiziell durch einen Schlaganfall. Da war nichts zu machen, und deshalb hat man mir sehr schnell das Herz entnommen und es dir gegeben.«
»Gestorben«, flüsterte Amy.
»Ja.«
»Aber nicht begraben - oder?«
»Nein, nicht begraben. Dazu habe ich es erst gar nicht kommen lassen. Ich bin geflohen, gegangen, wie immer du es auch nennen möchtest.«
Es wurde immer schlimmer, immer rätselhafter und immer unwahrscheinlicher. Bei Amy kehrten plötzlich wieder die eigenen, die alten und echten Gefühle zurück, und sie konnte nicht fassen, was da mit dieser Hexe abgelaufen war.
Das widersprach jeder Logik. Schon ihre eigene Verwandlung war nicht zu begreifen gewesen, zumindest nicht für sie.
Aber jetzt kam noch etwas hinzu, mit dem sie überhaupt nicht klar kam.
»Du solltest dich nicht grämen und ärgern, dass dein Wissen über die neuen
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