1225 - Die Reliquie
uns zu.
»Gut, Sie haben Recht, kommen Sie.«
Die Handschuhe ließ sie liegen, ging dann vor, und wir betraten einen schmalen Weg, der durch den Vorgarten mit den Sommerblumen bis zum Haus führte, dessen Fensterrahmen blau angestrichen waren und sich allein wegen dieser Farbe und den hellen Gardinen hinter den Scheiben von den anderen Häusern im Ort abhoben.
»Seitdem ich allein lebe, vermiete ich die oberen Zimmer an Gäste, die mal nur einen Tag bleiben oder mal zwei Wochen. Ich bin nicht eben mit Reichtümern gesegnet und muss sehen, wie ich über die Runden komme.«
»Das ist ganz natürlich«, stand ich ihr bei.
Sie blieb vor der Tür stehen und lachte. »Sagen Sie das mal den Leuten hier. Eine allein stehende Frau, die Zimmer vermietet, das passt nicht in ihre spießige Welt. Wer hier lebt, der existiert unter einer großen dumpfen Glocke aus Vorurteilen und Misstrauen.«
»Warum ziehen Sie nicht weg?«, fragte ich.
»Weil ich von hier stamme. Mein Mann ist vor einem Jahr abgehauen. Den hat nichts mehr hier gehalten. Der ist auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Kann ich ihm nicht mal verdenken, denn die Leute hier haben ihn alles andere als gemocht.«
»Was war der Grund?«
»Sein Geburtsland. Er stammte aus Algerien, war aber Franzose. Nun ja, er sah eben anders aus, und dass es verschiedene Menschen gibt, geht in diese Schädel nicht hinein. Was glauben Sie, wie die Leute sich heimlich gefreut haben, als mir das passierte.« Sie le gte den Kopf zurück und lachte. »Ich bin so etwas wie eine Ausgestoßene, mit der man nichts mehr zu tun haben will. Wenn ich das Haus hier verkaufen könnte, ich würde es sofort tun. Aber welcher normale Mensch zieht schon in diese Gegend und zu den Leuten hier? So halte ich mich eben mit gewissen schlecht bezahlten Heimarbeiten und Zimmervermietungen über Wasser. Jetzt wissen Sie fast alles. Kommen Sie rein.«
Es war gut, dass Tessa Long Vertrauen zu uns gefasst hatte, so würde sie sich bei unseren Fragen auch nicht sperren. Die Tür war nicht abgeschlossen. Sie drückte sie nach innen. Ich zog sicherheitshalber den Kopf ein, als ich über die Schwelle trat, und dann stand ich in einem schmalen, aber sehr hellen und auch sauberen Flur. Eine enge Treppe führte nur einen Schritt von mir entfernt in die obere Etage, und auch deren Geländer war blau angestrichen.
Tessa Long merkte, dass Suko und ich sehr angetan waren, und sie fragte: »Gefällt es Ihnen?«
»Es ist wirklich sehr hübsch hier.«
»Nur so kann ich es hier in Knockbain aushalten. Ich habe mir ein kleines Refugium geschaffen. Irgendeine Insel muss der Mensch haben, denke ich. Da fällt mir ein, dass der Tee noch warm sein muss.« Sie schaute uns aus ihren hellen Augen an. »Möchten Sie eine Tasse?«
Da waren wir nicht abgeneigt.
»Dann kommen Sie.«
Oft hatten wir mit fremden Menschen in deren Küche gesessen, und das war auch hier der Fall. Die Tür befand sich direkt im Eingangsbereich, und es gab auch genügend Platz für uns alle. Der Raum war sogar recht groß, und Tessa Long hatte ihn mit hellen Möbeln eingerichtet, die im Baukastensystem zusammengesteckt werden konnten.
Unsere Plätze fanden wir an einem viereckigen Tisch, auf dem eine ebenfalls blaue Decke lag. Aufgelockert wurde das Blau durch zahlreiche gelbe Kreise. Da die Rahmen der Fenster von innen gestrichen waren, erinnerte mich das Haus von dieser Seite her an eine Puppenstube. Da hatte sich Tessa Long ein kleines Refugium eingerichtet, das sie die triste Äußerlichkeit des Hauses vergessen ließ.
Den Tee servierte Tessa Long in dünnen Glastassen. Sie hatte die Schuhe nicht gewechselt, und so malte sich noch die Gartenerde auf dem sauberen Boden ab, was die Frau aber nicht störte. Sie schob eine Zuckerdose in die Tischmitte und nahm zwischen uns Platz. Dann schaute sie mal Suko und mal mich an.
Wir ließen uns Zeit, probierten den Tee, der tatsächlich noch heiß war und auch schmeckte, und mir fiel auf, dass Tessa ihre innere Nervosität auch nach außen hin zeigte. Zwar stellte sie keine Fragen, aber sie bewegte ständig ihre Finger über die Handballen hinweg. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus und fragte: »Jetzt wollen Sie bestimmt mehr über Eric Tallier wissen.«
»Das stimmt«, gab ich zu.
Tessa wusste nicht so recht wie sie beginnen sollte. Sie druckste noch etwas herum. Möglicherweise wollte sie auch nichts Falsches sagen und meinte: »Ich muss ja objektiv sein. Ich weiß nicht, aus welchen Gründen Sie
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