1225 - Die Reliquie
Gewässer verleitet zu Spekulationen, dass sich auf dem Grund etwas Unheimliches befinden könnte.«
»So völlig daneben liegt man damit wohl nicht«, sagte Suko.
»Ist eine Kirche denn unheimlich?«
»Eigentlich nicht. Es kommt nur darauf an, was man dort alles findet. Dann sieht die Sache schon anders aus.«
»Sie scheinen wirklich Experten zu sein.«
»Wir versuchen nur, unsere Arbeit zu tun.«
»Als Polizisten.«
»Genau.«
Tessa schüttelte den Kopf. »Die habe ich mir allerdings immer anders vorgestellt. Sie sind jetzt hier auf dem Land und kommen mir vor, als hätten Sie sich verlaufen.«
Suko nickte. »Manchmal denken wir auch so.«
Ich verließ das Zimmer und wartete mit den beiden Pressluftflaschen am Beginn der Treppe. Die Schläuche waren okay, die Mundstücke ebenfalls und auch gegen die Taucherbrillen konnten wir nichts sagen. Es musste klappen.
Als Tessa Long neben mir stand, fiel mir noch eine Frage ein.
»Sagen Sie, Mrs. Long, wie hat es Ihr Gast eigentlich angestellt, bevor er tauchte? Ist er mit einem Boot in die Mitte des Sees gefahren oder hat er sich einen Steg gesucht? Dazu muss ich Ihnen sagen, dass wir keinen gefunden haben.«
»Es gibt auch keinen.«
»Dann müssen wir direkt am Ufer ins Wasser steigen und in die Seemitte schwimmen?«
»Da bleibt Ihnen leider nichts anderes übrig.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Man kann es sich eben nicht aussuchen.« Dann stieg ich die Stufen hinab.
Suko und Tessa folgten mir. Vor der Haustür trafen wir wieder zusammen. Es war zu sehen, dass sich Tessa verändert hatte. Ihre Souveränität war verloren gegangen, und sie stand jetzt vor uns wie eine junge Frau, die nicht wusste, was sie sagen sollte, ihren Blick aber auch nicht ruhig hielt und ihn durch die Gegend schickte, als erlebte sie hier etwas völlig Fremdes.
»Darf ich Ihnen etwas sagen?«, fragte sie.
»Immer«, meinte Suko.
»Ich habe Angst bekommen.« Sie lachte über die eigenen Worte, aber das Lachen klang unecht. »Ja, richtige Angst. Als wäre etwas Unheimliches auf dem Weg zu uns.«
Suko winkte ab. »Da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Wenn es etwas Unheimliches gibt, dann liegt es auf dem Grund des Sees begraben.«
»Ja.« Tessa nickte vor sich hin. »Die alte kleine Kirche, die Kapelle. Und ich dachte, sie wäre längst vergessen, aber manchmal irrt man sich eben.«
Ich nickte. »Und wir sind dazu da, um die Irrtümer aufzuklären. Ich nehme an, wir sehen uns noch. Vielen Dank für Ihre Informationen, damit haben Sie uns sehr geholfen.«
Tessa sagte nichts. Sie schaute uns nach, wie wir zu unserem Wagen gingen, einstiegen und abfuhren. Allerdings waren auch wir nicht eben von einer großen Freude erfüllt und hatten das unbestimmte Gefühl, als würden uns noch verdammt üble Überraschungen erwarten…
***
Da es keine Rolle spielte, von welcher Seite her wir in das Wässer stiegen, hatten wir uns eine Stelle ausgesucht, die vom Ort her nicht so leicht einzusehen war. Das wilde Gestrüpp in der Nähe war so hoch gewachsen, dass es uns bis zu den Köpfen reichte und zudem noch den Range Rover schützte.
Wir hatten unsere Hilfsmittel ausgeladen und standen auf dem weichen Uferboden, in dem unsere Sohlen Abdrücke hinterließen.
Es war sehr still. Vom Ort her hörten wir nichts. Er kam uns jetzt wieder wie ausgestorben vor. Nur hin und wieder durchbrach das Motorengeräusch eines Autos die Starre der Geisterstadt, bevor sie wieder zurück in ihre Agonie fiel.
Wir bereiteten uns noch nicht für den Tauchgang vor, sondern kümmerten uns zunächst um das Gewässer, über das immer noch kein Windhauch strich und das deswegen so ruhig, geheimnisvoll und düsterromantisch vor uns lag.
Hin und wieder hörten wir ein Klatschen, wenn irgendwo im dichten Uferbewuchs ein Frosch in die grüne Brühe gesprungen war. Mücken schwärmten über die Wasseroberfläche hinweg, als wäre sie der ideale Tanzplatz für sie.
So sehr wir uns auch anstrengten, von der Kirche sahen wir nichts. Das Wasser war alles andere als klar. Schon nach einer Handbreite Tiefe verlor sich die hellgrüne Farbe und wurde von einer dunklen aufgesaugt, die nichts preisgab.
»Wie tief wird der See wohl sein?«, murmelte ich vor mich hin.
»Keine Ahnung«, sagte Suko. »Ich rechne mal damit, dass er nicht sehr tief ist. Hätten wir hier ein trockenes Klima mit viel Sonne, würde mehr Wasser verdunsten und die kleine Kirche zumindest zum Teil auftauchen. Es wäre nicht das erste Mal, dass
Weitere Kostenlose Bücher