1233 - Der Kunst-Vampir
und von oben herab einfach alles hinuntergeworfen, was nicht zu gebrauchen war. Der Dreck stank und bildete an verschiedenen Stellen kleine Hügel, über die sie ging.
Schon seit dem Betreten des Hauses wurde sie das Gefühl nicht los, etwas falsch gemacht zu haben. Oder auch, dass etwas anders gelaufen war, als sie es sich vorgestellt hatte. Das Haus war so still, so leer. Sie hätte den Kunst-Vampir riechen müssen. Er hätte sie auch hören können, denn sie hatte sich nicht eben leise bewegt. Aber es war nichts geschehen.
Justine blieb stehen. Als Schatten in der Dunkelheit, in der nur ihr blasses Gesicht auffiel. Menschliche Gefühle waren ihr fremd, trotzdem musste sie sich in bestimmten Situationen wie ein Mensch verhalten. Es war zwischen ihnen abgesprochen worden, dass er sich hier unten versteckte. Sie hatte ihm das Blut gegönnt, das er brauchte. Nur so konnte er weiterhin existieren, aber er wusste auch, dass er gewisse Regeln einzuhalten hatte. Ein Alleingang war nichts. Aber diese Regeln schien er nicht eingehalten zu haben.
Hinzu kam die seltsame Frau, die der anderen Person geho lfen hatte. Über sie musste Justine Cavallo ständig nachdenken, und immer wieder sah sie dieses andere Auge auf der Stirn der Person vor sich. Damit hatte sie nichts anfangen können, aber sie hatte sehr wohl die Kraft gespürt, die von diesem Auge ausging. Es war etwas, das sie noch nie erlebt hatte. Sie war sich so klein und hilflos vorgekommen, und für sie stand fest, dass diese Person, deren Namen sie nicht mal kannte, eine Gegnerin war.
Wenn sie gewisse Dinge zusammenzählte, dann musste sie einfach zu dem Ergebnis kommen, dass es jemanden gab, der ihr auf der Spur war. Sie und der Kunst-Vampir waren entdeckt worden. Das lag nicht an ihr, sondern an dem Geschöpf. Es musste sich verdächtig gemacht haben, und das war zu diesem Zeitpunkt schlecht.
Er hätte noch warten sollen. Nicht grundlos war er in die Ausstellung lanciert worden. Mallmann und sie hatten lange überlegt, wo er seinen Auftritt haben sollte. Da war ihnen dann die Vampir-Ausstellung gerade recht gekommen.
Licht brauchte Justine nicht. Katzenhaft gewandt schlich sie durch den Keller und umging auch die Hindernisse. Sie wusste, wo sich das Geschöpf aufhielt, denn sie selbst hatte ihm diesen Raum ausgesucht.
Es war der letzte Kellerraum. Ein Verschlag wie alle. Ein düsteres und dreckiges Verlies, das ebenfalls keine Tür besaß, wie auch die anderen Verschlage.
Es waren nur noch wenige Schritte, dann wandte sie sich scharf nach links und betrat das Verlies.
Es war leer!
Es gab das Geschöpf hier nicht mehr. Es hatte gegen die Regeln verstoßen und war verschwunden.
Justine Cavallo blieb regungslos stehen. Äußerlich zeigte sich nichts, aber im Innern strahlte ein Hass auf, den sie nur mühsam unter Kontrolle bringen konnte. Am liebsten hätte sie getobt und gegen die Wände getreten, aber sie riss sich zusammen und fing an, nachzudenken.
Wenn der Kunst-Vampir sich nicht hier aufhielt, dann hatte er sich ein anderes Versteck gesucht. Stellte sich die Frage, wohin er gegangen war. Zuerst fiel ihr ein, dass er sich wieder in die Ausstellung zurückgezogen hatte. Wäre bei seiner Betrachtungsweise irgendwie logisch gewesen, aber nicht gut für die Sache, denn er war auf seinem Weg durch den Park gesehen worden. Die Zeugin mit dem dritten Auge würde schon dafür sorgen, dass sein Ausflug bekannt wurde, und genau das wollte Justine vermeiden.
Nein, sie konnte sich nicht vorstellen, dass er in die Ausstellung zurückgekehrt war. So dumm war er nicht, obwohl er sich durch den Blutgenuss sicherlich sehr wohl und auch stark fühlte und deshalb die Chance bestand, dass er aus ihrer Kontrolle geriet und damit den Plan gefährdete.
Sie ärgerte sich wie ein Mensch, und noch immer kochte der Zorn in ihr. Am liebsten hätte sie in der Umgebung hier einiges zertrümmert, aber sie blieb cool und drehte sich nur um.
Es würde keinen Erfolg bringen, wenn sie das alte Haus hier durchsuchte. Das Geschöpf hatte sich längst einen anderen Unterschlupf gesucht. Wäre es noch hier in der Umgebung, dann hätte sie den Artgenossen wahrgenommen.
Ihr blieb nur der Rückweg, verbunden mit der Erkenntnis, dass nicht alles so lief, wie man es sich vorgestellt hatte…
***
»Bis achtzehn Uhr geschlossen!«, sagte Dagmar Hansen, als wir vor dem Eingang standen und sie mit halblauter Stimme den Text las, der auf dem Schild stand. Es hing an der Eingangstür, und beide
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