1235 - Das Mord-Phantom
hervorzuholen, aber nicht mitten auf dem Dach und auf einer verdammt schmalen Stelle. Unter mir war nicht der Halt vorhanden, der es mir erlaubt hätte, meine Pistole zu ziehen, und so konnte ich mich nur langsam bewegen.
Ich sprach nach vorn, aber meine Worte waren dabei an Sam Wilde gerichtet. »Wer ist diese Gestalt?«
»Mein Retter…«
Schon wieder diese Antwort, mit der ich nichts anfangen konnte. »Wieso ist sie dein Retter?«
»Das geht nur mich etwas an. Aber jetzt bin ich bereit, für meine Rettung zu zahlen.«
Ich begriff zunächst nicht, was sie meinte, und blieb in den folgenden Sekunden recht still, sodass ich mich mehr auf die äußeren Umstände konzentrieren konnte.
Der Wind wehte hier oben etwas stärker als im Schutz der Hauswände. Die Luft war feucht, ohne dass Schwaden aus Dunst oder Nebel sie durchtrieben.
Ich fror, und ich merkte, dass in meinem Innern Alarmglocken anschlugen, als ich näher über die letzte Antwort nachdachte. Sam Wilde würde tun, was ihr Retter verlangte. Sie besaß ein Messer, und sie würde damit auch töten.
Es war ruhig geworden, und diese Ruhe wurde von einem heftigen Atemzug hinter meinem Rücken unterbrochen.
Das war Samantha gewesen, und sie besaß das Messer!
Plötzlich wurde mir einiges klar. Es blieb nicht mehr die Zeit, meine Waffe zu ziehen. Ich musste mich drehen und auf die Frau schauen, damit sie…
Ja, ich drehte mich schnell!
Sam hatte die linke Hand mit dem Messer schon in die Höhe gerissen. Sie schrie mir entgegen, warf sich auf mich zu und rammte die lange Klinge schräg nach unten…
***
Sie würde mich treffen. Sie würde mich hundertprozentig erwischen, das stand fest. Aber ich blieb nicht stehen. Auch wenn mein Halt noch so unsicher war, es gab nur die Möglichkeit, mich zur Seite zu werfen, was ich auch tat.
Schwer prallte ich gegen die feuchten Dachpfannen. Ich hörte den Wutschrei, weil mich der Stich verfehlt hatte, und merkte dann, dass die Dachpfannen keine Hände besaßen, die mich festhielten. So folgte ich den Gesetzen der Physik und rutschte auf der schiefen Ebene nach unten, die so glatt war, als hätte man sie mit Schmierseife eingerieben.
Es war kein weiter Weg bis zum Dachrand, den ich auf dem Bauch liegend zurücklegte. Aber er kam mir in diesem Fall so verdammt lang vor, weil ich alles mit einer doppelten Intensität erlebte, als wäre eine Macht dabei, meine Rutschpartie bewusst zu verlängern.
Ich breitete die Arme aus, auch die Beine. Spielte Vogel, wollte mehr Widerstand erreichen, aber ich schaffte es nicht, meinen Körper zu stoppen. Ich drehte mich wohl etwas nach rechts, das war auch alles und brachte mir nichts.
Mir schossen so viele Gedanken durch den Kopf. Nur war ich nicht in der Lage, sie voneinander zu trennen und zu analysieren. Es ging einfach nur abwärts.
Das Ende des Dachs erschien vor meinen in Panik weit geöffneten Augen. Ein Stück weiter, dann erschien zum ersten Mal die Dachrinne in meinem Blickfeld.
Konnte sie meinen Sturz lindern oder mich abfangen?
Im Kino sah das immer so leicht und locker aus, wenn es der Held im letzten Augenblick schafft. Ich würde wohl meine Probleme bekommen, mich an der Rinne festzuklammern.
Auch die Kleidung stoppte meinen Weg nach unten nicht. Ich hatte mir schon die Handballen etwas aufgescheuert aufgrund meiner vergeblichen Bremsversuche, als ich die Rinne dicht vor mir sah.
In der nächsten Sekunde würde ich kippen.
Im allerletzten Moment brachte ich es fertig, meinen Körper zu drehen, sodass ich, wenn ich fiel, nicht mit dem Kopf nach unten in die Tiefe raste.
Schräg fiel ich über die Dachkante hinweg, schlug auch um mich, spürte tatsächlich die Dachrinne unter den Fingern meiner rechten Hand und versuchte, mich daran festzuhalten.
Es klappte nicht.
Zwar wurde das Tempo meines Falls etwas gebremst, aber das Gewicht des Körpers zerrte mich nach unten, und meine rechte Hand rutschte von der Dachrinne ab.
Ich fiel.
Ich schrie. Ich schlug um mich. Es waren nur wenige Sekunden, bis ich aufprallte, und ohne es genau zu wissen, tat ich in diesen Augenblicken das Richtige.
Die Hauswand war nicht glatt. Jemand hatte Efeu und wilden Wein angepflanzt. Zähe Pflanzen, die in der Lage sind, so manches Gewicht aufzuhalten.
Meines zwar nicht, aber der Fall in die Tiefe wurde zumindest abgebremst. Ich rutschte zwar weiterhin dem Erdboden entgegen, aber nicht mehr so glatt. Intervallweise beinahe schon. Immer wieder hielten mich die festen und zugleich
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