1236 - Grauen im stählernen Sarg
der damaligen Leichtigkeit der Kindheit in sich.
Amy hatte bewusst den Turm erklettert, um sich einen guten Überblick zu verschaffen. Den erhielt sie jetzt auch, als sie in die Tiefe schaute und dort ein Gemisch aus Trümmern und noch stehenden Mauerresten sah, die allesamt nicht besonders hoch waren und leicht überklettert werden konnten.
Eben wie damals…
Und sie erinnerte sich daran, dass sie als Kinder damals noch etwas entdeckt hatten, wovon sie ihren Eltern nichts erzählt hatten. Die alte Treppe in die Tiefe der ehemaligen Burg. Sie lag hinter einem kleinen Berg von Geröll verborgen, das nicht mehr grau aussah. Dafür mehr grün, weil sich Pflanzen dort eingenistet hatten.
Das also gibt es noch, dachte Amy. Und dann muss es auch den Keller geben.
Am Ende der Treppe lag der Keller. Oder das Verlies, in dem in früheren Zeiten Menschen zu Tode gefoltert worden waren.
Als Kinder hatten sie dabei stets das Gefühl gehabt, von den Geistern der Toten gejagt zu werden, und auch jetzt drang dieses Gefühl wieder in Amy hoch und ließ sie leicht schaudern.
Noch war es nicht dunkel. Aber die Dämmerung würde nicht mehr zu lange auf sich warten lassen, weil sich bereits der helle Kranz der Sonne verabschiedet hatte. Weit im Westen glänzte er noch nach, aber auch das würde bald in Vergessenheit geraten.
Nichts war von dem Vampir zu sehen. Keine Bewegung einer Person unten im Burghof, und doch konnte sich Amy vorstellen, dass es ihn gab. Sie erschauerte bei diesem Gedanken und fasste unwillkürlich nach ihrem Kreuz, um sich dort etwas Halt zu verschaffen und die Psyche zu beruhigen.
Es klappte nicht ganz, aber sie war auch mit den kleinen Erfolgen zufrieden.
Einige Minuten hielt sie an dieser Stelle aus. Dann machte sie sich an den Abstieg, den sie so vorsichtig anging wie zuvor den Aufstieg.
Sie schaffte es. Aber sie fühlte sich nicht gut und musste immer daran denken, was sich möglicherweise hier noch verborgen hielt. In der Dunkelheit wäre sie den Weg nicht gegangen, so aber hatte sie noch etwas Zeit, um den Vampir zu suchen.
Ernie Slater hatte ihr erzählt, dass Blutsauger tagsüber schlafen und erst in der Nacht aktiv werden. Das hatte sie auch schon vorher gewusst, aber sie hätte sich nie in der Dunkelheit in die alte Ruine getraut. Sie war ihrer Ansicht nach der einzige Ort, an dem sich der Vampir verstecken konnte, ohne so schnell gefunden zu werden.
Amy spürte schon den kalten Schweiß auf der Stirn und atmete erst mal tief durch, als sie wieder sicheren Boden unter den Füßen hatte, aber das leichte Zittern in den Knien blieb schon bestehen, als sie daran dachte, was jetzt noch auf sie zukam.
Sie musste nach unten!
Amy strich über ihr Gesicht und fragte sich, ob sie sich das wirklich antun sollte. Auch überlegte sie, ob sie nicht einem Hirngespinst nachlief, aber das war noch die große Frage, auf die sie erst Gewissheit finden wollte.
Um den Steinhaufen zu erreichen, musste sie den gesamten Burghof überqueren. Das tat sie mit kleinen und vorsichtigen Schritten. Sie hatte auch das Gefühl, als läge eine unsichtbare Würgehand in ihrem Nacken, die sie nicht losließ.
Amy bewegte sich auch deshalb so langsam, weil der Boden keinen schnellen Schritt erlaubte. Es gab einfach zu viele Stolperfallen, und so hob sie ihre Beine immer sehr hoch an, um diese Hindernisse überwinden zu können.
Vögel hatten sie nicht erschreckt. In ihrem jetzigen angespannten Zustand passierte das schon, wenn sie plötzlich von irgendwelchen Mauern und Steinen in die Höhe flatterten, weil sie sich gestört fühlten. Dann huschten sie weg und jagten dem Himmel entgegen, dessen Wolken die Tiere aufnahmen.
Amy hatte die linke Hand um das kleine goldene Kreuz aus der Kindheit gelegt. Früher, wenn sie von Sorgen geplagt worden war, hatte es ihr immer geholfen. Verbunden mit kleinen Gebeten, an den Herrn Jesus Christus gerichtet. Auch jetzt stellte sie fest, dass ihr die Berührung richtig gut tat und sie sogar leicht lächeln konnte.
»Ich schaffe es!«, flüsterte sie sich selbst zu. »Ich werde es schaffen…«
So machte sich Amy Mut und näherte sich immer mehr dem recht hohen Steinhaufen. An den Seiten lugten die Reste der Steine mit ihren kantigen und auch spitzen Enden hervor, sodass sie beim Übersteigen Acht geben musste, um sich nicht zu verletzen.
Vor dem Hindernis blieb sie stehen. Schaute es zuerst an und dann darüber hinweg.
Ja, den Zugang gab es noch!
Er war zwar durch das
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