1236 - Grauen im stählernen Sarg
heftiger als gewöhnlich.
»Amy hat mir alles berichtet«, flüsterte sie, »meine Güte, das ist ja schrecklich gewesen. Das arme Kind in den Klauen einer Gestalt, die es gar nicht geben darf. Oder was meinen Sie?«
»Stimmt, Rose, aber solche Wesen existieren.«
Sie lächelte schief. »Ja, ja, ich weiß. Ich selbst habe ja die Knoblauchstauden aufgehängt. Da es den Vampir jetzt nicht mehr gibt, kann ich sie ja wegnehmen.«
»Lassen Sie sie hängen«, riet ihr Suko.
Rose Carry schaute überrascht. »Warum sollte ich das? Die Gefahr ist doch vorbei - oder?«
»Das wissen wir noch nicht genau.« Ich war ehrlich. »Es kann durchaus sein, dass da etwas nachkommt.«
Sie ging zurück und musste sich setzen. »Noch ein Vampir?«, hauchte sie.
»Wir wollen es nicht hoffen«, schwächte ich ab. »Aber wir müssen sicher sein.«
Die Frau nickte vor sich hin. »Ja, ja, wenn Sie das sagen, wird das wohl stimmen. Ich halte mich am besten davon fern. Mit so etwas möchte ich nichts zu tun haben.«
»Das können wir verstehen, aber ich hätte da noch eine andere Frage. Es riecht hier nach Essen und nicht mehr nach Knoblauch. Hätten Sie vielleicht etwas übrig?«
»Ja, ja.« Sie stand hastig auf. »Aber dann müssen Sie das nehmen, was mein Mann gegessen hat.«
»Gern.«
»Das sind Eier und Brot.«
»Einverstanden.«
Auch Suko nickte, und Rose Carry war irgendwie froh, dass sie eine Aufgabe hatte. Sie ging in die Küche, um sich um die Spiegeleier zu kümmern.
Suko und ich blieben allein in der Gaststube zurück, und mein Freund grinste, als er mich anschaute.
»Ist was?«
»Ja, Alter. Du scheinst dich ja hier häuslich einrichten zu wollen. So sehe ich das.«
Ich zuckte die Achseln. »Häuslich ist leicht übertrieben, aber die nächste Nacht möchte ich schon hier verbringen.«
»Justine?«
»Genau sie…«
***
Sie waren gefangen in einem stählernen Sarg!
Niemand kümmerte sich um sie. Niemand dachte daran, in die Tiefe auf den Meeresgrund zu tauchen, und so waren sie all die langen Jahre vergessen worden.
Ein Sarg aus Stahl. Einer, der sich unter Wasser hatte bewegen können, ein Schiff, das tauchte und auf den Namen U-Boot hörte. Irgendwann vor mehr als 50 Jahren war es untergega ngen und hatte seine Last mit in die Tiefe genommen. Torpedos, Waffen - und Menschen!
Niemand hatte je eine Chance erhalten, dem stählernen Sarg zu entkommen. Niemand hatte das U-Boot vermisst, denn offiziell gab es dieses Boot nicht, und von seinen Insassen wollte auch niemand etwas wissen. Und so waren die Jahre darüber hingeschwemmt wie die Wellen der Nordsee, auf dessen Grund es lag.
Aber der Tod kann auch warten. Besonders dann, wenn er schon auf eine bestimmte Art und Weise zugeschlagen hat. So war es auch mit den Männern, die auf dem Boot während des Zweiten Weltkriegs Dienst geschoben hatten.
Sie waren tot, aber es gab sie noch, und sie existierten auf ihre Art und Weise.
Warten hatten sie gelernt, weil sie wussten, dass irgendwann mal die Stunde der Befreiung kommen würde. Und dann würden sie sich wieder in der inzwischen veränderten Welt zurückmelden.
Sie lagen in einem besonderen Schlaf. Sie spürten nicht; was außerhalb des Boots vor sich ging. Sie sahen nicht die Fische, die neugierig näher schwammen, sie hörten nicht die Wellen, sie nahmen nicht das leichte Schaukeln des Bootes wahr, aber sie merkten, dass ihre Zeit des Schlafes allmählich dem Ende entgegenging.
Es erreichte sie eine Botschaft.
Wer dahinter steckte, wussten sie nicht, aber diese Botschaft drang von der Ferne her in ihre leblosen Hirne hinein und sie bedeutete Blut, frisches Blut.
Der Kapitän vernahm sie zuerst.
Leichte Stiche erwischten seinen Kopf. Sie sprangen vor, sie peinigten ihn, und sie rissen ihn aus der Lethargie.
Er lag als Einziger in seiner Koje. Jahrelang auf dem Rücken, ohne sich bewegt zu haben.
Doch die Zeit war vorbei, denn die Botschaft konnte er nicht überhören. Sie war so stark, dass sie seine Mattheit überwand und er die Augen öffnete.
Er sah und sah trotzdem nichts. Er war eingeklemmt in einen Panzer. Es war eine alte Uniform, die in all den Jahren stark gelitten hatte und wie feuchtes Papier an ihm klebte.
Mit offenen Augen blieb er liegen, während die Botschaft weiterhin durch seinen Kopf eilte.
»Die Zeit ist reif. Wir holen euch. Wir sind bald da. Euer Schlaf hat ein Ende…«
Die Gestalt gab keine Antwort, doch sie wusste sehr gut, was sie zu tun hatte.
Sie rollte sich schwerfällig
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