1240 - Das Knochenkreuz
ihr an einer dieser Gruppen Interesse zeigt. Seid ihr eigentlich auf der Suche nach Knochendieben?«
»Nein, das nicht gerade. Aber es gibt eine Person, für die ist die Knochenkirche so interessant, dass sogar ein Mord in Kauf genommen wurde. Irgendetwas muss dort sein, von dem wir nichts erfahren sollten. Deshalb ist Orel Krasna auch gestorben. Wir zumindest können uns keine andere Erklärung vorstellen.«
»Sehr gut gedacht, meine Herren.«
»Mehr sagst du nicht dazu?«, fragte ich.
Annica drehte sich von mir weg. »Tja, was willst du hören, John? Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Die Kirche ist für mich nichts Besonderes mehr. Ich kenne sie seit meiner Kindheit. Aber ich habe nie erlebt, dass sich Gangster um sie kümmern.«
»Wir suchen auch nicht nach Gangstern«, klärte ich sie auf.
»Es geht hier um etwas ganz anderes.«
»Was ist es denn?«
»Magie möglicherweise.« Annica Dobel schwieg. Sie schaute uns nicht mehr an, sondern blickte zu Boden. »Ein wenig hat man mich über euch informiert. Ich weiß, dass ihr keine normalen Polizisten seid. Ihr beschäftigt euch mit Dingen, die für die meisten Menschen überhaupt nicht existent sind. Hier in Tschechien sind viele den Dingen gegenüber recht aufgeschlossen. Das stimmt schon. Da brauche ich nur an Prag zu denken, an den Golem und so weiter…«
Ich dachte mehr an die fliegenden Leichen, die wir vor Jahren erlebt hatten, aber das behielt ich für mich.
Dafür sprach Suko die Kollegin an. »Wie stehst du zu dem Übersinnlichen, Annica?«
»Ich hab es noch nicht erlebt.«
»Lehnst du es ab?«
»Keine Ahnung. Es ist einfach schwer, daran zu glauben, und in der Knochenkirche habe ich noch nichts Übersinnliches erlebt. Da bin ich ganz ehrlich.«
»Es muss aber etwas geben, das für eine bestimmte Seite sehr interessant ist«, fuhr Suko fort.
»Kann sein. Mir ist es nicht aufgefallen. Dann hätte ich es euch längst mitgeteilt.«
Die nächste Frage stellte ich. »Dir sagt nicht zufällig der Name van Akkeren etwas?«
»Nein!« Sie schüttelte den Kopf. »Wieso?«
»Es war nur eine Frage.«
Annica war neugierig. »Ist er derjenige, hinter dem ihr her seid?«
»Kann man so sagen.«
Sie überlegte und fuhr dabei mit der Spitze des linken Zeigefingers von der Stirn her über den Nasenrücken nach unten.
Dann hatte sie endlich die richtigen Worte gefunden. »Ich denke, dass er nicht allein die Sache durchziehen wird, wenn sie tatsächlich so groß ist, wie ihr vielleicht befürchtet. Er kann Helfer gehabt haben. In London habt ihr ja einen erlebt. Jetzt ist es ein Vorteil, dass ihr mich an eurer Seite habt. Ich kenne die Menschen in Hora, und mir werden sie eher Auskunft geben als euch. Ich denke da vor allen Dingen an die alte Jolanda, die immer alles sieht und alles weiß. Das war schon früher so, das ist auch heute so geblieben.«
»Wer ist Jolanda?«, fragte ich.
»Eine Frau, die in Hora ein Geschäft betreibt. Im Sommer hilft ihr der Bruder oder der eine oder andere aus dem Ort, der sich ein paar Kronen verdienen will. Jetzt ist nichts los, aber Jolanda ist immer im Laden, das weiß ich. Sie wohnt darüber zusammen mit der Schwester. Als Kind kam sie mir schon alt vor. Jetzt hat sich das kaum verändert. Sie müsste an die Siebzig sein.« Annica schnippte mit den Fingern. »Wenn jemand etwas weiß, dann Jolanda.«
»Gut. Warum besuchen wir sie nicht?«
»Das wollte ich gerade vorschlagen.«
Bevor wir in den Opel stiegen, warf ich noch einen Blick zurück auf die Kirche.
Sie stand da, als wollte sie allen Zeiten trotzen. Auf dem Turm sah ich den Schädel mit den gekreuzten Oberschenkelknochen, und ich hatte das Gefühl, von diesem Totenkopf angegrinst zu werden…
***
Man hatte Hora sogar etwas touristisch erschlossen, denn es gab kleine Pensionen und Gasthäuser. Sogar ein Hotel befand sich an der Hauptstraße, und die kleinen, nicht sehr hohen Häuser wirkten auf mich romantisch. Ein Museum gab es auch, Geschäfte, zwei Tankstellen, und natürlich die Souvenirläden, in denen all das geboten wurde, was direkt oder indirekt mit der Knochenkirche zu tun hatte.
In allen möglichen Größen war sie nachgebaut worden. Man konnte sie aus Kunststoff kaufen, aber auch aus Schokolade oder Marzipan. Es gab Teller mit ihrem Aufdruck, Tassen ebenfalls, auch T-Shirts, und man konnte sie sich sogar als Mobile von der Decke hängen.
Auch Knochen und Schädel wurden angeboten. Totenschädel als Aschenbecher oder Kerzenleuchter und Gebeine
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