1240 - Das Knochenkreuz
Vierspänner und noch einige Arten. Aber auch Mokka und Espresso, und natürlich Cappuccino.
Dafür entschieden wir uns. Mit geschäumter Milch, nicht mit Sahne. Durch ein großes Fenster konnten wir hinaus, auf das Rollfeld schauen, auf dem die Maschinen landeten und starteten. Sensible Menschen bekamen bei diesem Anblick sicherlich Fernweh.
Annica trank ihren Cappuccino in langsamen Schlucken.
Dabei schaute sie uns an und stellte auch eine Frage zwische ndurch. »Ich bin so gut wie nicht informiert. Man hat mich von der Dienststelle losgeschickt, um euch zu unterstützen und nicht um euch zu kontrollieren, wie man vielleicht annehmen könnte.«
»Hat auch niemand von uns behauptet«, sagte Suko.
»Klar. Ich wollte nur etwas klarstellen. Es geht euch um die Knochenkirche.«
»Und um ein Kreuz«, präzisierte ich.
Sie hob ihre schmalen, Augenbrauen an. »Kennt ihr die Geschichte der Kirche?«
»Kaum«, sagte ich.
Sie nickte. »Gut, dann will ich euch einen kurzen Überblick geben. Der Ort Hora gehörte im Mittelalter zu einem der reichsten der bekannten Welt. Man förderte Silber, und das brachte den Menschen verdammt viel Geld. Aber auch Hora blieb nicht von der Pest verschont, und so kam es, wie es kommen musste. Diese Geißel der Menschheit räumte auch in Hora auf. Es starben rund vierzigtausend Menschen, und damit hatte man dann ein Problem. Wohin mit den Leichen? Man hob Massengräber aus, und das neben der kleinen Kapelle. Die Bevölkerung nahm wieder zu, und die Kapelle wurde zu klein.« Annica leckte über ihre Lippen und lächelte. »Was sollte man tun? Erweitern. Statt einer Kapelle musste eine Kirche entstehen. Kein Problem, aber wohin mit den Skeletten? Mönche und Bildhauer kamen damals auf eine fantastische Idee. Sie beschlossen, die Kirche mit den Gebeinen der vierzigtausend Toten zu dekorieren. 1870 wurde die Kirche fertig. Seit dieser Zeit kann man die Schädel und auch die Knochen in der Kirche besichtigen. Es gibt Standbilder aus Knochen ebenso wie Leuchter. Auf der Turmspitze findet man kein Kreuz, sondern einen Schädel mit gekreuzten Obersche nkelknochen. Das war es, was ihr wissen solltet. Sie ist übrigens einmalig.«
»Kann ich mir denken«, sagte Suko. »Aber so etwas spricht sich doch herum. Wie sieht es mit den Touristen aus?«
Annica winkte ab. »Schrecklich. Die Kirche ist natürlich ein Anlaufpunkt. Früher, zu den Zeiten der Kommunisten, kamen nur wenige. Das hat sich nach dem Öffnen des Eisernen Vorhangs geändert. In den Sommermonaten strömen die Touristen nur so in die Kirche hinein, und jeder bezahlt ein paar Kronen Eintritt, um sich den richtigen Schauer zu holen. Aber im Winter können wir das vergessen. Da ist es den Leuten zu kalt. Ich glaube, dass die Kirche sogar geschlossen wird. Bin mir allerdings nicht sicher. Früher war es zumindest so.«
»Und du stammst wirklich aus dem Ort?«, fragte ich.
»Ja, da habe ich nicht gelogen.« Sie funkelte mich hinter den Gläsern der Brille an. »Aber warum interessiert dich das so?«
»Weil uns in London ein Mann auf die Spur gebracht hat. Er heißt Orel Krasna. Kennst du ihn?«
»Musste ich das?«
»Er soll aus Hora stammen.«
Annica Dobel runzelte die Stirn. »Tja, ich bin lange aus Hora weg. Ich kann mich auch nicht mehr an alle Namen erinnern, das muss ich ehrlich zugeben. Es kann sein, dass er mir schon mal über den Weg gelaufen ist, aber hundertprozentig kann ich das auch nicht sagen. Wenn wir dort sind, können wir ja nachfragen.« Sie leerte ihre Tasse. »Was hat er denn in London zu tun?«
»Er war ein Schlepper«, klärte ich sie auf. »Nicht eben die feine Art, sein Geld zu verdienen.«
»Menschenhänd ler.«
»Genau.«
»Und den habt ihr gefangen?«
»Nein, Annica. Er traf sich freiwillig mit mir und berichtete mir von der Kirche und von einigen Menschen, die es auf die Kirche abgesehen haben. Er konnte leider nicht viel sagen, aber diese Menschen hatten schon einen Grund, sich um die Kirche zu kümmern und vor allen Dingen um ein Kreuz.«
»Das Knochenkreuz?«
»Du kennst es?«
»Klar.« Sie lachte mich an. »Das rund zwei Meter hohe Knochenkreuz ist ein Prunkstück der Kirche. Es wird mit am meisten bewundert. Das müsst ihr euch mal vorstellen. Ein Kreuz aus menschlichen Gebeinen. Das ist schon was. Einmalig, nicht?«
»Dahinter ist wohl jemand her«, sagte ich. »Leider konnte Orel Krasna keine genauen Erklärungen mehr geben, denn er wurde ermordet. Man hängte ihn an einer Feuerleiter auf.
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