125 - Im Netz der Todesspinnen
sich leicht und begrüßte seinen Chef. „Alles in Ordnung, Jean?" fragte Leclet, während ihm der Kellner Mantel und Hut abnahm.
„Alles in Ordnung, Monsieur."
„Das will ich auch hoffen", brummte Leclet, „sonst gnade Ihnen Gott."
Wie jeden Tag trat Alain Leclet seinen Inspektionsgang an. Zuerst besichtigte er die Garderobe, schenkte aber der freundlich grüßenden Garderobiere keine Beachtung. Dann stapfte er in die Toiletten und sah sich in der kleinen Küche genau um. Erst danach betrat er das eigentliche Lokal, das ziemlich klein war. Hinter einer mächtigen Bar stand ein rothaariges Barmädchen, das ein offenherzig ausgeschnittenes Kleid trug. Der Theke gegenüber lag eine kleine Bühne, hinter der sich die Garderoben für die sechs Animiermädchen befanden, die gelangweilt an den kleinen Tischen saßen und darauf warteten, daß das Lokal endlich geöffnet wurde. Leclet beäugte die Mädchen kurz, grunzte und blickte dann Jean Desaint an.
„Sperren Sie auf, Jean!"
Der Kellner nickte und schickte sich an, das Lokal zu öffnen, während Leclet zur Bar ging und sich schwerfällig auf eine Bank setzte, auf der genau sein fettes Hinterteil Platz hatte. Von hier aus hatte er einen guten Überblick über das Lokal. Oft saß er die ganze Nacht dort, beobachtete amüsiert das Treiben um sich herum und ärgerte das Barmädchen.
Odette unterdrückte einen Seufzer, lächelte aber verkrampft und kam auf Leclet zu. „Das übliche, Monsieur?"
Leclet grinste und nickte bedächtig. Gierig strich er sich mit der Zunge über die Lippen, als das vollbusige Mädchen eine Flasche Champagner aus dem Kühlschrank nahm und ihm unter die Nase hielt. Es war eine Flasche der Firma Bollinger, die für Leclet den besten Champagner herstellte. Täglich trank er mindestens drei Flaschen von dieser Marke.
Genießerisch hob er das Glas hoch, roch daran und trank einen kleinen Schluck.
.Jetzt habe ich wenigstens die nächste halbe Stunde Ruhe vor dem häßlichen Nußknacker, dachte Odette. Erst nachdem Leclet die erste Flasche getrunken hatte, wurde er lästig. Odette war alles andere als ein zimperliches Mädchen, doch immer wenn sie Leclet anfaßte, hatte sie das dringende Bedürfnis, sich augenblicklich zu waschen.
Nach einer halben Stunde verirrten sich die ersten Gäste ins Lokal. Es waren schüchtern dreinblickende Bauern aus der Provence, die erst nach zwei Flaschen des billigsten Champagners auftauten und mit drei Mädchen in den Logen verschwanden.
Leclet hatte seinen stieren Blick bekommen. Speichel tropfte von seinen fleischigen Lippen.
Odette atmete erleichtert auf, als ein alter Stammgast das Lokal betrat, sich an die Bar stellte und einen Whisky bestellte. Sobald sich ein Gast an der Bar befand, hielt Leclet seine Hände im Zaum. Leclet bestellte eine weitere Flasche Champagner, die er langsam trank. Nun hatte er jenen Zustand erreicht, in dem er leicht aggressiv wurde und Streit suchte. Sein bevorzugtes Ziel war Jean, dem er die unglaublichsten Beleidigungen an den Kopf warf. Er haßte den Oberkellner aus tiefstem Herzen, da er ihn für einen Schwulen hielt.
„Jean!" sagte er scharf.
„Sofort, Monsieur", antwortete der Kellner, der eben eine Flasche Whisky in eine der Logen trug.
Mißmutig starrte ihm Leclet nach. Plötzlich richtete er sich steil auf, als er einen Stich im Nacken spürte. Seine Augen schienen aus den Höhlen zu quellen. Er versuchte die Hände zu heben, doch es gelang ihm nicht. Sein Körper und seine Gliedmaßen waren gelähmt.
Hörst du mich, Alain Leclet? fragte eine Stimme in seinem Kopf.
„Ich höre dich", sagte Leclet laut, was ihm einen verwunderten Blick von Jean eintrug, der vor seinem Chef stehengeblieben war und den Fettsack verärgert anblickte.
Was hat sich der alte Trottel jetzt wieder einfallen lassen? fragte sich Jean verbittert.
Ich bin Dorian Hunter, dröhnte die Stimme in seinem Kopf. Ich habe heute schon einmal mit dir gesprochen. Erinnerst du dich?
„Ich erinnere mich", keuchte Leclet.
„Sprechen Sie zu mir, Monsieur?" fragte Jean höflich.
Doch Leclet schenkte seinem Kellner keine Beachtung.
Ich brauche deine Hilfe, Leclet, sprach Dorian Hunter weiter.
„Was soll ich tun?"
Die Gedanken Dorian Hunters durchströmten sein Gehirn, stellten ihm Fragen und befahlen ihm, nicht laut zu sprechen.
„Ist Ihnen nicht gut, Monsieur?" erkundigte sich Odette, als Leclet die Augen schloß, so als würde er einer unsichtbaren Stimme lauschen.
Leclet öffnete die
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