125 - Todesschreie aus dem Blutmoor
was auch ich vom Hörensagen weiß. Angefangen hat das
Ganze vor hundertzwanzig oder hundertdreißig Jahren, vielleicht liegt’s auch
schon weiter zurück. So genau weiß das hier niemand mehr. Fest steht auf alle
Fälle, daß unsere Familie in besonderem Maß betroffen wurde. Mein Ururgroßvater
besaß dort drüben im Moor das sogenannte >Moorgasthaus<. Es war das
einzige Haus weit und breit, noch ehe überhaupt einige Ortschaften hier in der
näheren Umgebung gegründet wurden. Sie müssen wissen, daß diesem meinem Ahn
viele Felder und Acker gehörten, die er mit seiner Familie, den Knechten und
Feldarbeitern bestellte. Unserer Familienchronik ist eindeutig zu entnehmen,
daß Ururgroßvater - wie wohl viele Menschen seinerzeit - fest an die Existenz
von Geistern und Dämonen glaubte und überzeugt davon war, daß man ihrer nur
sicher sein konnte, wenn man sich mit ihnen verband. So kam er eines Tages auf
die Idee, mitten im Moor ein düsteres Haus zu bauen, das er den ruhelosen
Geistern, die seiner Meinung nach bei Nacht und Nebel durch die bizarre
Landschaft streiften, als Unterschlupf anbot. Dieses Haus hat bis vor rund
siebzig Jahren tatsächlich existiert. Das Moor ist Gemeindeeigentum, und das
Gebäude, das er als »Moorgasthaus« für einsame Wanderer zur Verfügung stellte,
die nicht ahnten, aus welchem Grund der Bau wirklich errichtet worden war,
wurde Anfang des Jahrhunderts abgerissen. Seltsamerweise gibt es jedoch immer
wieder Touristen und Besucher des Moores, die - gerade, wenn sie mit Einbruch
der Dunkelheit erst den Ort verlassen - behaupten, mitten im Moor ein düsteres,
bizarr aussehendes Haus gesehen zu haben. Das ist natürlich Unsinn, wie wir
alle hier wissen .«
Sie redete viel, ohne jedoch wirklich Handfestes mitzuteilen.
»Sie wollten mehr etwas über den Namen >Blutmoor< direkt
sagen«, machte Larry sie nochmals darauf aufmerksam.
»Richtig. Entschuldigen Sie bitte, daß ich abgeschweift bin. Ich
bin etwas durcheinander. Durch die angeblich im Moor befindlichen Geister wurde
viel Unheil angerichtet.
Angefangen haben soll das Ganze mit einem Mord. Ein junger Mann
hat dort seine Freundin getötet und die Leiche dann im Moor versenkt. Die
Legende sagt, daß noch in der folgenden Nacht der Mörder gerichtet wurde, und
zwar durch die Hand der Toten, die aus dem Moor zurückkehrte und ihn tötete.
Man fand die Leiche in seinem Bett. Im ganzen Zimmer stieß man auf Spuren, die
eigenartig anmuteten. Boden, Wände, Fenster waren mit Schlammspritzern bedeckt,
und auch an der Leiche selbst stellte man verkrustete Erde fest, die eindeutig,
wie man analysierte, aus dem Moor stammte.
Besonders sensible Menschen, die einen Moorspaziergang machen,
behaupteten, daß über den Tümpeln und dem Sumpf oft ein rötliches Leuchten
liegt, das sie an Blut erinnere.
Eigenartigerweise treten diese Erscheinungen, wie nachgewiesen
wurde, immer an den gleichen Stellen auf.
Dort hatte die Gemeindeverwaltung vor vielen Jahren schon
Holzpflöcke rammen lassen, nachdem zunächst einfache, schwarze Holzkreuze
geplant waren.
Doch dieses Vorgehen empfand man als zu makaber, Obwohl sie sicher
der Wirklichkeit am nächsten gekommen wären. An sieben verschiedenen Stellen
kann man diese Pflöcke finden, und sie besagen nichts anderes, als daß dort
Menschen zu Tod kamen, die nicht mehr aus dem Moor zurückkehrten.«
»Wenn aber solche Gerüchte im Umlauf sind, ist es doch
erstaunlich, daß so viele Besucher Tag für Tag in die Nähe von Meliert kommen,
um durch das Moor zu spazieren«, warf Larry ein.
»Was ich Ihnen erzählt habe, wissen nur wenige, nur die
Einheimischen hier«, erhielt er zur Antwort. »Von den Fremden, die
hierherkommen, hat keiner die geringste Ahnung davon. Und wenn es jemand weiß,
sucht er wahrscheinlich aus vollem Bewußtsein die Gefahr oder die Gänsehaut.«
Sie lächelte plötzlich verloren.
»Es ist ja heute modern, sich zu gruseln. Und dort oben im
>Blutmoor< kann man es vortrefflich. Ich jedenfalls möchte nicht dort
sein, wenn die Dämmerung beginnt und die Nebel steigen. Denn dann kommen die
Moorleichen .«
Ihre Stimme klang dumpf bewegt, und sie sagte es mit vollem Ernst.
»Sie meinen damit, daß diejenigen aus dem Moor zurückkehren, die
es sich als Opfer holte beziehungsweise jene ersten Toten, die es
möglicherweise aufgrund ihres Fluches dort behielt?«
Petra Gessler nickte. »Es gibt viele Theorien. Aber Genaues weiß
niemand. Doch das ist auch gar nicht notwendig. Die
Weitere Kostenlose Bücher