1251 - Die Heilige und die Hure
abgefahren, aber ich interessiere mich nun mal für Geschichte und die Dinge, die dahinter liegen. Da sind Sylvia und ich wirklich sehr verschieden.«
Sie konnte es nicht erwarten, bis wir am Haus waren und öffnete schon vor uns die Tür.
»Hallo, da seid ihr ja. Ist eine gute Zeit. Ich habe den Kaffee fertig, und wenn ihr etwas essen wollt, dann habe ich einen kleinen Kuchen gebacken und…«
»Nein, nein, nein, Sylvia. Nur keine Umstände, das habe, ich dir doch gesagt. Das ist übrigens John Sinclair«, stellte sie mich vor.
»Super. Ich bin Sylvia.« Sie reichte mir die Hand, drückte sie fest und strahlte mich an. »Hast einen guten Geschmack, Julie.«
Julie lief rot an. »Hör auf zu hetzen. Das ist nicht so wie du denkst.«
»Ich bin eben offen.«
»Gefällt mir auch«, sagte ich.
»Siehst du!«
Sylvia war eben eine unkomplizierte Person. Sie war nicht geschminkt. Die blonden Haare waren sehr kurz geschnitten. Außerdem war sie eine recht kleine Frau, aber auch irgendwie pummelig und hatte einige Pfunde zu viel, was mich nicht störte. Bekleidet war sie mit einer engen schwarzen Hose, die man fast schon mit Leggings vergleichen konnte. Das helle T-Shirt spannte sich um ihren Oberkörper mit dem nicht zu übersehbaren Vorbau. Weiche Gesichtszüge und helle Augen, die sehr wach in die Welt blickten, vervollständigten die Erscheinung.
Sylvia führte uns in das Haus und dann in ihre Wohnung, die gemütlich eingerichtet war.
Viele bunte Kissen verteilten sich auf den vier kleinen Sesseln. Sie umstanden einen Holztisch, auf dem schon drei Tassen standen, die darauf warteten, mit Kaffee gefüllt zu werden. An den Wänden hingen die Bilder, die von Kindern gemalt sein mussten, die Sylvia betreute.
»Ich hole den Kuchen. Setzt euch schon mal.«
Ihre Stimme duldete keinen Widerspruch, und so nahmen wir Platz. Es war schon eine seltsame Atmosphäre, das musste ich zugeben. Ein Samstag in einer gemütlichen Wohnung, in der es behaglich warm war. Zwei kleine Fenster, die den Blick nach draußen in einen trüben Tag frei gaben, so richtig normal. Da konnte man kaum auf den Gedanken kommen, dass es irgendetwas anderes auf der Welt gab als eben diese Normalität.
Sylvia kehrte mit einer Platte zurück, auf der Kuchen schon in bestimmte Portionen geschnitten war.
Er war trocken, und wir konnten ihn mit den Fingern essen.
»So, dann langt mal zu«, sagte sie, stellte die Platte auf den Tisch und begann, den Kaffee einzuschenken, der sich bereits in einer Warmhaltekanne befand.
Wir taten ihr den Gefallen. Ich fand es gut, etwas in den Magen zu bekommen, denn allmählich verspürte ich Hunger.
Der Kaffee war auch nicht schlecht. Sylvia saß so, dass sie uns gut beobachten konnte. Sie wirkte wie jemand, der etwas auf dem Herzen hatte und es endlich loswerden wollte. Das tat sie, als Julie gerade mal nicht kaute.
»So, sagst du mir jetzt, was überhaupt los ist? Du hast dich am Telefon ziemlich hektisch angehört.«
»Ich bin eben keine gute Schauspielerin.«
»Weiß ich.«
»Wir haben einen Test oder einen Versuch vor, Sylvia.«
»Ach! Hier?«
»Genau.«
»Was ist es denn?«
Julie antwortete diesmal nicht. Sie drehte den Kopf und schaute mich an, damit ich eine Erklärung geben sollte, was nicht so einfach war, denn die Wahrheit war für einen Außenstehenden schwer zu begreifen. Ich wollte auch nicht lange um den heißen Brei herumreden und stellte direkt eine Frage.
»Haben Sie schon mal etwas mit Hypnose zu tun gehabt?«
»Nein!« Sylvia bekam große Augen. »Aber du kannst mich ruhig duzen, John, das ist hier so üblich.«
»Okay.«
Sie schluckte. »Willst du hier in meiner Wohnung eine Hypnose durchführen?«
»So etwas Ähnliches hatte ich schon vor.«
»Ohhh…«, staunte sie und drehte Julie den Kopf zu. »Sag nur, dass du es bist, die hypnotisiert werden soll.«
»Das sieht ganz so aus, Sylvia.«
Julies Freundin war überrascht. So agil ich sie auch kennen gelernt hatte, jetzt wurde sie schon nachdenklich und wollte es noch einmal wissen.
»Ist das wirklich wahr, Julie?«
»Wenn ich es dir sage.«
»Und John kann so etwas?«
Ich fühlte mich angesprochen und sagte: »Ich werde es versuchen. Geh nicht davon aus, dass ich Menschen hypnotisiere und davon meinen Lebensunterhalt bestreite. Es ist eine Möglichkeit, die wir nutzen müssen, und mein Vorhaben hängt einzig und allein mit Julie zusammen. Um sie geht es.«
Sylvia nickte, bevor sie fragte: »Darf ich auch den Grund
Weitere Kostenlose Bücher