1251 - Die Heilige und die Hure
Silbe, aber ich weiß nicht, was die Buchstaben an den vier Enden zu bedeuten haben.«
»Sie gehören zu den Erzengeln. Es sind die Anfangsbuchstaben der Namen.«
Sie staunte. »Ist das wirklich wahr?«
»Ja, bestimmt.«
»Und jetzt?«
»Hoffe ich, dass uns das Kreuz nicht im Stich lässt und uns das Tor öffnet.«
»Du meinst damit die Vergangenheit, nicht wahr?«
»Ja, deine.«
Sie nickte. »Das wird wohl gut sein, wenn es passt. Ich kann es nur hoffen. Ich will ja auch Bescheid wissen, John. Ich habe mich zwar nicht mit dem Gedanken an eine Wiedergeburt gequält, aber diese Unsicherheit ist auch nichts. Ich möchte endlich eine gewisse Freiheit haben, verstehst du das?«
»Ja.«
»Komm her!«
Ich ging nahe an sie heran, und Julie streckte mir die Hände entgegen. Ich nahm das Kreuz wieder an mich, aber sie hielt meine Handgelenke fest.
»Ich muss dir etwas sagen. Es klingt kitschig, aber es ist einfach so gewesen, John. Als ich dich zum ersten Mal sah, da wurde mir ganz anders. Da hatte ich das Gefühl, dich zu kennen, obwohl ich dich zuvor noch nie gesehen hatte. Es war einfach dieser Strom vorhanden, der plötzlich zwischen mir und dir floss. Ist dir das aufgefallen?«
»Nein.«
»Aber mir. Ich habe sofort Vertrauen zu dir gefasst und fragte mich nach den Gründen. Jetzt weiß ich es, John. Ich habe irgendwie gewusst, dass du etwas hast, was anders ist.«
»Das Kreuz?«
»Ja, John«, erwiderte sie flüsternd. »Das muss es gewesen sein. Zuerst habe ich es nur gespürt, aber jetzt bin ich sicher. Es muss das wunderbare Kreuz gewesen sein.«
»Dann, so hoffe ich, wird dein Vertrauen darin nicht enttäuscht werden.«
»Bestimmt nicht.«
Ich freute mich über diese Reaktion. Sie war in der Tat außergewöhnlich. Damit hatte ich nicht rechnen können, aber das Leben steckt eben immer wieder voller Überraschungen.
Ich nickte ihr zu. »Gut, Julie, dann schlage ich vor, dass du dich entspannst. Bleib im Sessel sitzen, aber lehne dich zurück und tue nichts. Ganz ruhig bleiben. Was passiert, ist nicht gefährlich für dich. Wenn es gefährlich werden sollte, was ich nicht glaube, würde ich den Versuch sofort abbrechen.«
»Ja, ich habe verstanden.«
»Das ist gut.«
Julie Ritter vertraute mir voll und ganz. Ich sah noch ein Lächeln auf ihrem Gesicht, als sie sich entspannte und auch in dieser Haltung im Sessel blieb. Erst jetzt sah ich, dass er sich bewegen und damit kippen ließ. Julie drückte ihn zurück und gelangte so in eine fast liegende Haltung.
Ich stand auf und ging zu ihr.
Von unten her schaute sie mich an. Ihr Lächeln wirkte wie ein Vorschuss an Vertrauen.
»Geht es dir gut, Julie?«
»Ja, sehr…«
»Und du vertraust dem Kreuz noch immer?«
»Sehr.«
»Dann entspann dich bitte. Vergiss alles, was wir bisher erlebt haben. Sei einfach nur ruhig und sei nur du selbst. Alles andere ist unwichtig geworden.«
»Ich werde mich daran halten, John.«
Mein Blick forschte in ihrem Gesicht, und ich musste zugeben, dass es entspannt wirkte.
Sie lächelte, als sie das Kreuz sah, und das gab mir Mut für meine schwierige Aktion…
***
Ich war alles andere als ein Hypnotiseur. Ich war auch kein Psychotherapeut oder Psychoanalytiker, aber ich glaubte an bestimmte Methoden. Besonders dann, wenn sie von dem Kreuz ausgingen, in das ich so viel Vertrauen setzte.
Julie Ritter war ganz locker. Diese halb liegende Haltung schien ihr auch zu gefallen. Sie hielt die Augen geöffnet und schaute leicht nach oben. Ich stand neben ihr, hatte den Arm zur Seite gestreckt und hielt das Kreuz so, dass es zwischen ihrem Kinn und der Brust baumelte. So brauchte sie sich nicht groß anzustrengen, wenn sie es sehen wollte. Es war da, und nur das zählte.
Sie blickte hin, aber sie sah noch nicht, dass es sich bewegte. Es blieb noch starr bis auf ein leichtes Zittern, das von meiner Hand ausging.
Dann ließ ich es pendeln. Es waren leichte Bewegungen, gut zu verfolgen. Das Kreuz geriet nie aus ihrem Blickfeld.
»Du siehst nur das Kreuz, Julie, nur das Kreuz. Und nichts anderes. Ist das klar?«
»Ja, ich sehe das Kreuz.«
»Wunderbar. Es gibt dir Kraft. Etwas strömt in dich hinein und vertreibt alles andere. Du willst an nichts mehr denken, sondern denkst nur an das Kreuz. Du konzentrierst dich darauf. Du erlebst seine Schönheit und auch seine Macht, und du gibst dich ihm voll und ganz hin. Hast du mich verstanden?«
»Ich habe verstanden.«
»Das ist wunderbar, Julie«, sagte ich mit leiser Stimme,
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