1251 - Die Heilige und die Hure
erfahren?«
Ich überließ Julie Ritter die Antwort. »Bitte, Sylvia, sieh es nicht als einen Vertrauensbruch an, aber das geht nicht. Ich bin selbst unsicher. Würde ich dir den Grund nennen, dann würde ich dich mit verunsichern. Bevor du danach fragst, warum wir das bei dir durchziehen wollen, sage ich dir, dass es einen bestimmten Grund hat. Aber auch den wollen wir dir nicht nennen. Es sind Dinge eingetreten, über die man normalerweise nur den Kopf schütteln kann, aber es gibt sie nun mal. Ich habe damit selbst gewaltige Probleme, aber sie sind nicht ungesetzlich. Da brauchst du keine Sorgen zu haben. Es ist eben etwas, das man nicht richtig erklären kann. Darauf sind auch andere Personen scharf, und das ist auch der Grund, weshalb wir es nicht in meiner Wohnung durchziehen, sondern zu dir gekommen sind. Aber es ist nichts Ungesetzliches. Mehr kann ich dir auch nicht sagen.« Sie beugte sich auf ihrem Platz vor und griff nach Sylvias Hand. »Bitte, das musst du mir glauben.«
Sylvia Servais nickte. Sie sah das Unbehagen im Gesicht ihrer Freundin und sprach ihr Mut zu. »Ja, Julie, ich glaube dir. Wir kennen uns lange genug. Ich weiß, dass du nicht schlecht bist und auch nichts Schlechtes getan hast. Das ist schon okay. Ihr könnt tun, was ihr wollt und was nötig ist.«
»Danke.«
Ich war froh, dass sich die Frauen so verständigt hatten und ich nun freie Bahn bekam. Überzeugt von einem Erfolg war ich nicht. Aber ich sah keine andere Möglichkeit, und ich vertraute vor allem auf die Kräfte des Kreuzes.
Sollte Maria Magdalena tatsächlich in Julie Ritter wieder geboren sein, dann hoffte ich, dass es zu einem Erinnerungsschub kam und ich endlich Klarheit erhielt.
Sylvia blickte Julie fragend an.
»Kann ich noch etwas für euch tun?«
»Nein, es ist schon gut«, meinte Julie.
Da war ich anderer Ansicht und hielt damit auch nicht hinter dem Berg. »Vielleicht wäre es besser, Julie, wenn deine Freundin das Zimmer verlässt. Ich kann sie nur bitten, denn es ist ihre Wohnung, aber wir sollten schon allein sein.«
»Willst du das, Julie?«
»Ich weiß es nicht. Aber wenn John es sagt, wäre es schon besser. Er ist der Fachmann.«
»Tja… hm…« Etwas pikiert fragte Sylvia dann: »Kann ich denn in der Wohnung bleiben?«
»Natürlich«, sagte ich. »Du kannst auch hier im Zimmer bleiben. Ich kann dich ja nicht rauswerfen. Das steht mir in keinem Fall zu. Bitte, dagegen habe ich nichts.«
»Ja, danke. Aber ich gehe trotzdem. Wenn ihr etwas braucht, dann sagt es - ja?«
»Machen wir, Sylvia.«
Sie schaute uns noch mal kurz an, nickte, drehte sich um und ging. Sie zog die Tür zu, aber sie verschloss sie nicht, sondern ließ sie so weit offen, dass sie noch durch einen Spalt schauen konnte, wenn sie wollte.
Ich blieb mit Julie Ritter allein zurück, und sie richtete sich zu einer steifen Sitzhaltung auf. »So, John, und wie geht es jetzt bei uns weiter?«
»Zunächst mal mit der Ruhe.«
»Das ist…«
»Doch, doch, wir müssen es ruhig angehen lassen. Du solltest dich auch schon entspannen und versuchen, locker zu sein. An nichts mehr denken, dich nicht ablenken lassen, sondern nur das erleben, das ich dir präsentieren werde.«
»Aber es ist kein Pendel - oder?«
»Nein, auf keinen Fall. Ein Pendel ist es nicht. Ich bin auch kein Hypnotiseur. Dass ich es trotzdem versuchen werde, hat einen anderen Grund. Ich vertraue auf einen bestimmten Gegenstand, der mir sehr ans Herz gewachsen ist. Ich trage ihn immer bei mir. Er gehört zu mir wie das Herz und die Lunge. Er ist praktisch so etwas wie ein Ausweis für mich. Darauf baue ich.«
Sie fragte nicht mehr, sondern schaute mir dabei zu, wie ich an meinen Nacken und dort nach der schmalen Silberkette fasste, an der mein Kreuz hing. Noch wurde es von der Kleidung verdeckt, als es an meiner Brust in die Höhe glitt. Wenig später aber lag es frei.
Ich kannte die Reaktionen fremder Menschen, wenn sie das Kreuz zum ersten Mal sahen. Auch bei Julie war es nicht anders. Sie gab keinen Kommentar ab und schaute einfach nur zu, was da erschien. Ich wusste nicht, womit sie gerechnet hatte, sicherlich nicht mit einem Kreuz, denn ihre Augen wurden groß wie eben möglich.
»Ein Kreuz?«, flüsterte sie. »Damit habe ich nicht gerechnet.« Sie traf Anstalten, sich zu erheben, blieb aber sitzen und schaute auf das wertvolle Stück, das ich noch für einen Moment vor meiner Brust offen hängen ließ, dann die Kette über den Kopf streifte und es auf meine Hand
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