1253 - Angst vor dem eigenen Ich
ausgebreitet haben, aber sicher war ich mir nicht. Es war auch möglich, dass Wasser diesen Reflex zurückgab. Um Klarheit zu bekommen, musste ich runter.
Suko hatte die Strickleiter von seiner Schulter gelöst. Noch lag sie zusammengerollt neben ihm auf dem Boden. Er legte sich die Haken zurecht und probierte aus, ob sie im Gestein halten würden.
Ich sprach ihn an. »Ich denke, Suko, dass du hier oben Wache hältst, während Godwin und ich nach unten steigen. Einer muss auch bei Julie bleiben.«
Mein Freund war einverstanden. »Das geht schon klar«, sagte er, »ihr habt schließlich die älteren Rechte.«
»Danke.«
»Dann lass uns jetzt die Leiter nach unten werfen.«
Wir hofften alle, dass sie ausreichte. Godwin hatte es tatsächlich geschafft, die längste Strickleiter zu besorgen, die es gab. Auch wenn sie den Grund nicht erreichte und ein Stück darüber hängen blieb, konnten wir immer noch springen.
Die Haken saßen fest. Wir versuchten es durch Zerren und Reißen, aber nichts löste sich. Das war schon ein Teil der Miete. Suko würde oben bleiben und uns den Rücken decken. So brauchten wir keine Furcht zu haben, dass von dieser Seite eine Gefahr drohte.
Godwin sah mich fragend an. »Wer macht den Anfang?«
»Ich!«
»Gut.«
Es sprach keiner mehr, aber zwischen uns hatte sich eine gewisse Spannung aufgebaut, die für ein beklemmendes Gefühl sorgte. Wir wussten, was zu tun war. Gemeinsam schoben wir die Strickleiter über den Rand des Schachts hinweg und ließen sie in die Tiefe fallen, wo sie sich aufrollte. Wir lauschten dabei den Geräuschen nach, als die Holzsprossen gegeneinander schlugen.
Dann gab es einen Ruck, und die Leiter hatte sich entfaltet. Aber wir hatten nicht gehört, dass sie auf dem Boden des Schachts aufgeschlagen wäre.
»Die ist hängen geblieben, John.« Sukos Stimme hatte nicht eben optimistisch geklungen.
»Ich denke trotzdem nicht daran, einen Rückzieher zu machen.«
»War ja nur ein Hinweis.«
»Okay, dann los.« Ich wollte nicht mehr länger darüber nachdenken, und drehte mich so, dass ich später mit der Vorderseite des Körpers auf die Schachtwand schaute.
Es sieht immer so einfach und locker aus, wenn jemand eine Strickleiter hoch oder hinab klettert, aber das Laufen über diesen schwankenden Halt hinweg ist alles andere als einfach. Da musste man schon verdammt Acht geben und mit dem Gleichgewicht kämpfen und versuchen, Schwankungen der Leiter auszugleichen.
Sie schwankte, als ich sie belastete. Für einen Moment schlug mir das Herz hoch bis zum Hals. Ich hatte Mühe, mein Zittern zu unterdrücken, aber ich fing mich sehr schnell wieder. Nach den nächsten beiden Sprossen war ich so weit hinabgegangen, dass sich der Schachtrand in Höhe des Kinns befand und ich noch einen letzten Blick auf meine Freunde werfen konnte.
Suko nickte mir aufmunternd zu, während Julie Ritter etwas im Hintergrund stand. Im künstlichen Licht wirkte ihr Gesicht noch blasser als sonst.
Der Helm auf meinem Kopf drückte so gut wie kaum. Die kleine Lampe brannte, und ich sah den Lichtkegel über die Schachtwand nach unten huschen, je weiter ich über die schwankende Leiter in die Tiefe stieg.
Godwin blieb noch oben. Er wollte den Weg erst gehen, wenn ich das Ziel erreicht hatte.
Je tiefer ich kam, desto mehr gewöhnte ich mich an die Leiter. Ich musste nur dafür sorgen, mich gleichmäßig zu bewegen, dann klappte es auch. Zwar schwankte die Leiter, ich stieß auch hin und wieder gegen die Schachtwand, aber das alles hielt sich in Grenzen, und ich geriet nicht einmal in Gefahr, abzurutschen.
Der Kranz aus Helligkeit um den Schachtrand herum blieb für mich ein Hoffnungsschimmer, den ich auch vom Grund her noch sehen würde.
Das Dunkel schluckte mich wie ein gewaltiger Rachen. Aber eines wunderte mich schon. Ich hatte damit gerechnet, dass die Luft in der Tiefe schlechter werden würde und sich auch nicht mehr so gut atmen ließ. Das traf nicht zu. Es wurde zwar kühler, aber die Luft verschlechterte sich nicht. Ich hatte den Eindruck, als gäbe es irgendwo unter mir eine andere Öffnung, die für Zug sorgte.
Ich hatte die Sprossen nicht gezählt, die ich zurückließ. Irgendwann stoppte ich meine Kletterei, um seitwärts in die Tiefe zu schauen.
Ja, der Grund war zu sehen. Aber nur, weil meine Freunde von oben das Licht nach unten schickten, das meine Kletterei begleitete. Wieder schimmerte der Grund. Auch jetzt war nicht zu erkennen, ob dort unten Knochen lagen oder
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