1256 - Belials Bann
hinterlassen, wo sich die langen Reifenspuren deutlich abmalten. Aus den Auspuffrohren strömten die nebligen Gase, und nach wie vor schien der Himmel auf den Boden gefallen zu sein, so sehr verschwamm die normale Welt.
»Manchmal verfluche ich Moskau wegen der Größe«, sagte Karina nach einer Weile.
»In London ist es nicht anders. Allerdings ist der Verkehr da noch dichter. Und er wird immer schlimmer. Ein Ende ist leider nicht abzusehen. Typisch für Metropolen.«
»Leider. Das macht den Job für uns nicht leichter.«
»Stimmt. Aber wir lassen den Wagen oft stehen und fahren mit der U-Bahn. Das ist oft besser.«
Wir hatten jetzt etwas mehr Glück, denn wir rollten über eine breite Straße hinweg. Es war ruhiger geworden. Viel ruhiger, denn der Schnee schluckte einen großen Teil der Geräusche. So hatten wir den Eindruck, durch eine Kulissen-Landschaft zu fahren, der alles Leben entzogen worden war. Hinzu kam, dass wir kaum Menschen sahen, die sich zu Fuß durch dieses winterliche Trauma kämpften.
Aber der größte Teil der Fahrt lag hinter uns. An einer Kreuzung mussten wir stoppen. Meine russische Freundin deutete nach links.
»Sind wir da?«
»Fast, John.«
Als wir losfuhren und wieder der Schnee unter den Reifen knirschte, da sah ich die hohen Bauten, die wie gefrorene Riesen inmitten des Flockenwirbels standen. Es war schon die Zeit, da man in den Häusern die Lichter einschaltete, doch davon war so gut wie nichts zu sehen. Der graue wirbelnde Vorhang nahm uns den größten Teil der Sicht, und wenn wir Lichter sahen, gehörten sie den entgegenkommenden Fahrzeugen oder glühten vor uns als rote Blutflecken.
Wir fuhren in ein Industrie- und Wohnviertel hinein. An der rechten Seite der Straßen standen die Menschen schluckenden, hohen Plattenbauten, an der linken war das Gelände etwas freier, denn hier hatte man mehr Hallen gebaut, die längst nicht so hoch waren.
Eine breite Zufahrtstraße war ebenfalls errichtet worden. Trotz des gefallenen Schnees waren die Schlaglöcher nicht völlig gefüllt worden, und so rumpelten wir weiter.
Karina Grischin kannte sich glücklicherweise auch hier aus. Wir mussten nicht erst lange suchen und erreichten sehr bald eine Abzweigung. Ein paar Meter weiter mussten wir stoppen, weil uns eine herabgelassene Schranke den Weg versperrte.
»Wir sind da!« Es klang irgendwie erlösend und zugleich gepresst, als Karina den Kommentar gab.
Auch in ihr war die Spannung in den letzten Minuten gewachsen, und ich hörte, wie sie scharf ausatmete.
»Sehr gut.« Ich sah an Karina vorbei nach links, denn dort malte sich der Schatten einer kleinen Baracke ab. Und genau da bewegte sich jemand. Ein Mann verließ seine Bude. Er trug einen langen Mantel und eine Schirmmütze. Geduckt bewegte er sich durch den Flockenrausch.
Karina kurbelte die Fensterscheibe herab. Der Mann bückte sich, tippte gegen seinen Mützenschirm und erkundigte sich nach unserem Begehr. Ich hielt mich zwangsläufig zurück und hörte nur dem Gespräch der beiden zu, was mir nicht gefiel, denn es dauerte länger als gewöhnlich. Auch Karinas Stimme verstärkte sich. Sie hörte sich unleidlich an. Einmal schlug sie hart auf das Lenkrad. Schließlich holte sie ihren Ausweis hervor, um den Mann zu überzeugen.
Es gab noch eine kurze Diskussion, dann zog sich der Typ zurück, und Karina kurbelte die Scheibe wieder nach oben. Sie wollte nicht noch mehr Schnee mitbekommen.
»Was war los?«, fragte ich.
»Später.«
Der Balken hob sich. Wir konnten wieder losfahren, aber nicht tief hinein in das Gelände, denn Karina stoppte den Mercedes bereits nach wenigen Metern.
»Es gibt Probleme«, sagte sie. »Der Wachtposten hat mir erklärt, dass die Sendung abgesagt worden ist. Es wurde vor einer halben Stunde durchgegeben.«
»Ach. Und welche Gründe hat man genannt?«
»Technische.«
»Ja, so kann man es auch sehen.«
»In den anderen Studios wird weiterhin produziert, aber die Live-Sendung gibt es nicht.«
»Daran kann man doch riechen!«
»Du sagst es.«
»Gab es Gründe?«
Karina lachte und hob die Schultern. »Natürlich gab es die. Er hat sie mir nicht gesagt. Ich bin zudem davon überzeugt, dass es ihm nicht möglich war.«
»Wie ich dich kenne, wirst du trotzdem nicht umkehren.«
»Genau. Ich will wissen, was da abläuft. Das haben sie nicht grundlos getan. Und ich kann mir vorstellen, dass sie auch mit einer bestimmten Reaktion rechnen. Sie wissen, dass wir das Kind zurückholen wollen und uns
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