1258 - Der Leichen-Skandal
hat die Leichen gesehen, die wir verscharrt haben.«
»Wieso denn?«
»Der verdammte Erdrutsch hat sie frei gelegt.«
»Scheiße.«
»Wir kümmern uns so schnell wie möglich darum. Und jetzt verschwinde, Abel.«
»Schon gut, Dave. Ich halte sie etwas auf.«
Der Mann ging, und Frost konnte sich wieder seinem Opfer zuwenden. Das Lächeln war geblieben, als er flüsterte: »Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, mein Freund. Normalerweise verbrennen wir ja keine Leichen, in denen noch Metall steckt. Wir entfernen ihnen die Herzschrittmacher und auch die Goldzähne, aber dir lasse ich sogar dein Gewehr. Nimm es mit in die Ewigkeit.«
Er sagte nichts mehr. Der Deckel sackte nach unten und berührte Sekunden später das Unterteil.
Noch drang an beiden Seiten das Licht durch, aber auch diese Streifen verschwanden bald.
Es wurde finster. Absolut dunkel!
Die Vorhalle war erreicht. Die schlimmsten Albträume wurden für den Förster Wirklichkeit, der still dalag und auf seinem Körper auch jetzt das Gewicht seines treuen vierbeinigen Begleiters spürte…
***
Es gab wirklich keine Fenster. Das fiel uns erst jetzt richtig auf. Zudem waren wir es nicht gewohnt, uns in einem Raum ohne Fenster aufzuhalten, auch wenn er klimatisch gut belüftet wurde, wie das hier der Fall war. Der Typ mit dem glatten und nichts sagenden Gesicht war einige Schritte zurückgetreten. Er überließ uns den ersten Rundblick.
Mir war beim Eintreten noch ein Gedanke gekommen, den ich Helen Carver flüsternd mitgeteilt hatte.
Dabei war ich froh, dass sie älter war als Suko und ich und zudem noch älter aussah. So hatte ich ihr nur zugeflüstert: »Du bist meine Tante.«
»Ist gut.«
Es gab Sessel, die bequem aussahen. Sie waren mit einem hellen Stoff überzogen. Tische, rund wie ein Vollmond, standen vor den Sitzgelegenheiten. Auf ihnen lagen Zeitschriften, deren Inhalt sich mit allem Möglichen beschäftigte, nur nicht mit dem Tod, denn die Menschen hier sollten durch andere Dinge abgelenkt werden. Nur nicht schon sofort daran erinnern, weshalb sie tatsächlich in dieses Haus gekommen waren.
Der Türöffner stand in unserer Nähe wie ein Wächter aus einem SF-Film. So jedenfalls sah er in seiner grauen Kleidung aus. Ich trennte mich von Helen Carver und Suko und nickte ihm zu.
Meine Stimme klang freundlich, und die Frage war auch völlig normal. »Sorry, aber sind Sie zufällig der Chef dieses Hauses?« Ich vermied bewusst den Begriff Krematorium.
»Nein, das bin ich nicht. Mein Name ist Abel Grange. Mr. Frost ist beschäftigt.«
»Dann ist er aber hier?«
»Ja.«
»Und wir können auf ihn warten?«
»Ich denke schon.«
Suko räusperte sich und lenkte die Aufmerksamkeit auf sich. »Wir haben draußen auf dem Platz einen Bus stehen sehen. Haben Sie vielleicht Besuch bekommen?«
Grange schaute ihn düster an. Er wirkte wie jemand, dem noch nicht klar geworden war, ob er nun eine Antwort geben sollte oder nicht. Schließlich nickte er. »Ja, er hat Besuch bekommen. Eine Gruppe, die schon mal besichtigen will, was sie später erwartet.« Die Lippen verzogen sich zu einem Grinsen. »Die Zeiten haben sich eben geändert. Heute geht man ganz anders mit dem Tod um als früher.«
Er verlor seine steife Haltung, als wollte er seine Worte noch unterstreichen. »Viele Menschen sehen den Tod eben cooler, verstehen Sie. Lockerer. Sie wissen, dass sie ihm nicht entwischen können, und wollen sich zumindest ein Bild von dem machen, wie ihr Ende aussieht.«
»Meinen Sie das wirklich so?«
»Klar.«
Suko schüttelte den Kopf. »Niemand weiß, wie sein Ende aussehen wird. Niemand.«
»So habe ich das auch nicht gemeint. Die Leute sehen eben, wo sie als Tote landen.« Er begann zu lachen und hüstelte dabei. »Sie glauben gar nicht, welche Kommentare man bei den alten Mumien da hört. Manche sagen, dass sie lieber verbrannt als in der kalten Erde von Würmern aufgefressen werden. Wärme ist ihnen angenehmer als Kälte.« Er wollte wieder lachen, aber Helen Carver fiel ihm ins Wort, denn sie hatte sich irgendwie angesprochen gefühlt.
»Hören Sie auf mit dem dummen Gerede. Sie sollten auch als junger Mensch mehr Respekt vor dem Tod haben.«
»Sorry«, sagte Grange, »aber wenn man hier arbeitet, muss man sich einen gewissen Humor bewahren.«
Helen Carver schwieg. Sie ärgerte sich trotzdem, denn ihr Gesicht war rot angelaufen.
Wenn ich diesem Abel Grange alles abkaufte, nur nicht seinen Humor. Der war ein eiskalter Hund.
Man sieht es manchen
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