1258 - Der Leichen-Skandal
Menschen an den Augen an, und das war bei ihm der Fall.
Er gab sich verbindlicher, was ihm schwer fiel. »Ich kann Ihnen schon jetzt sagen, dass sie eine große Auswahl haben, was die Urnen angeht. Sie können sehr schlichte kaufen, aber auch etwas teurere. Das liegt allein an Ihnen. Aber Sie sollten Ihren Angehörigen Bescheid geben, dass sie die Urnen auch abholen. Allmählich reicht unser Lager nicht mehr aus. Das ist leider so.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte ich.
»Ganz einfach. Viele holen die Urnen einfach nicht mehr ab. Ob bewusst oder unbewusst, das weiß ich nicht. Jedenfalls stehen die Dinger hier herum. Ist auch nicht das Wahre. Allmählich wird auch bei uns der Platz knapp.«
»Ich habe die Urne abgeholt!«, erklärte Helen Carver.
»Ach, dann waren Sie schon mal hier?«
»Ja. Vor einigen Wochen.«
Grange grinste wieder. »Sorry, aber ich kann mir leider nicht jedes Gesicht merken.«
Helen hob ihre Leinentasche an. »Ich habe die Urne sogar mitgebracht«, erklärte sie.
Grange hob beide Hände. »Bitte nicht, Madam. Wir nehmen nichts mehr zurück.«
»Das hatte ich auch nicht vor.«
»Dann bin ich zufrieden.«
Ich hatte die Frau beobachtet, und mir war auch aufgefallen, dass sie sich noch immer aufregte. Bevor sie sich um Kopf und Kragen reden konnte, warf ich ihr einen warnenden Blick zu, den sie verstand, denn sie senkte den Kopf.
Abel Grange ging zudem nicht weiter auf das Thema ein. Er schaute auf seine Uhr und wollte etwas sagen, als sich eine recht breite Tür im Hintergrund öffnete und eine Anzahl von Menschen entließ. An ihrer Spitze ging ein Mann, der einfach der Chef in diesem Laden sein musste, denn so sah er auch aus.
Nicht von der Kleidung her, denn die war hell. Dafür trug er ein dunkles Hemd und ebenfalls schwarze Schuhe. Vom Aussehen her glich er mehr einem Filmheld und Schaumacher als einem Beerdigungsunternehmer. Ein glatter Typ, was auch auf seine Haare zutraf, die er streng nach hinten gekämmt und gegelt hatte.
Er bewegte sich locker, er gab sich gegenüber den älteren Menschen sehr charmant. Er lächelte, er gab einige witzige Bemerkungen von sich, während er weiterging und auch noch dazu mit seinen Händen redete.
Dann sah er uns!
Plötzlich war alles anders. Die Maske brach zusammen. Die Freundlichkeit aus seinem Gesicht war wie weggeblasen. Er zeigte jetzt sein wahres Ich, und wir sahen das Misstrauen in seinen Zügen.
Abel Grange fühlte sich genötigt, zu ihm zu gehen. Er eilte auf seinen Chef zu und wirkte dabei sehr devot.
Auch die Besucher hatten bemerkt, dass etwas nicht stimmte, sie verstummten, es wurde ruhiger in dieser Vorhalle, und deshalb konnte Grange seinem Chef auch etwas ins Ohr flüstern.
Der Mann hörte genau zu und ließ uns dabei keine Sekunde aus den Augen.
Neben mir schüttelte Suko kaum wahrnehmbar den Kopf. »Der Typ gefällt mir so gut wie ein hungriger Hai.«
»Toller Vergleich.«
»Ich mag ihn auch nicht«, meldete sich Helen Carver mit leiser Stimme.
»Das war schon so, als ich meinen Mann einäschern lassen wollte. Da habe ich mich bequatschen lassen.« Sie streckte ihr Kinn vor. »Von Leuten wie diesen Besuchern. Sie waren so angetan von ihm. Wenn man ihnen zuhörte, konnte man meinen, dass Sterben richtig Spaß macht. Dieser Dave Frost kann die Leute einlullen.«
Da hatte sie den richtigen Vergleich getroffen. Einlullen. Die falsche Freundlichkeit bis hin zur Perfektion treiben. Den Leuten weismachen, dass sie nach ihrem Ableben bei ihm gut aufgehoben waren.
»Sprach man auch über Preise?«, fragte ich.
»Ja. Aber mehr am Rande. Er wolle keine Notlagen ausnutzen. Er bleibe im Preis immer unter denen einer normalen Beerdigung. Was natürlich nicht sein Verdienst ist, sondern einzig und allein ein Folge des Marktes.«
Da hatte sie auch Recht.
Wir warteten auf Dave Frost. Er musste sich um seine Besucher kümmern. Vom Anfang bis zum Ende. Jedem gab er die Hand, sprach zum Abschied aber nicht von einem Wiedersehen, denn das wäre doch etwas makaber in dieser Lage gewesen.
Auch Abel Grange wurde in diese Abschiedszeremonie eingespannt. Er stand an der Tür und hielt sie den Leuten auf, die wieder zu ihrem Bus gingen. Kaum hatten sie das Krematorium verlassen, da konnten sie wieder freier und gelöster sprechen. Es war sogar für uns zu hören, dass ihnen eine Last von der Seele gefallen war.
Dave Frost blieb an der Tür, winkte ein letztes Mal, bevor er sich mit einer etwas herrischen Geste umdrehte und sich uns
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