1258 - Der Leichen-Skandal
einem Fahrstuhl waren wir in den Keller gefahren. Eine kurze Strecke nur, die Helen Carver nicht gefiel. Sie drückte sich an mich, weil sie zumindest das Gefühl haben musste, dass jemand da war, der ihr den nötigen Halt gab.
Dave Frost hatte die Frau beobachtet und schüttelte leicht amüsiert den Kopf. »Fürchten Sie sich, Mrs. Carver?«
»Ja.«
»Wovor?«
»Vor allem hier. Es ist nicht meine Welt. Ich komme mir vor, als würde ich in eine Gruft fahren.«
Frost drückte den Kopf zurück und lachte gegen die graue Decke der Kabine. »Nein, Madam, so schlimm ist es nicht. Sie werden sehen. Wenn wir gleich aussteigen, haben Sie den Eindruck, sich in einem Studio zu bewegen, in dem Stars ihre neuen CD’s produzieren. Sie dürfen nie vergessen, dass der Tod zum Leben gehört, und man sollte ihm eine so angenehme Umgebung wie möglich schaffen.«
»Trotzdem bleibt er das Ende eines Menschen.«
»Das ist wohl wahr.«
Wir hatten längst angehalten. Erst jetzt drückte Dave Frost mit dem Rücken die Tür auf. Ich hatte ihn auf der Fahrt nach unten beobachtet. Sympathischer war er mir deshalb nicht geworden. Er war für mich weiterhin der aalglatte und eiskalte Typ, der die Menschen perfekt einzuwickeln verstand, wenn es um sein Geschäft ging.
Keller sind oft dunkel. Das war hier nicht der Fall. Es herrschte eine schon unnatürliche Helligkeit vor, die von Lampen stammte, die in die helle Decke integriert worden waren. Sie gaben eine schattenlose Helligkeit ab, die in einen breiten Flur fiel, in dessen Wände auf halber Höhe Nischen eingebaut worden waren.
Dort standen die Urnen, und jeder Besucher konnte bereits einen Blick darauf werfen und möglicherweise schon eine Entscheidung darüber treffen, welche er für seinen Angehörigen auswählte.
Frost ging langsamer, damit wir uns die Urnen anschauen konnten. »Gefallen sie Ihnen?«
»Blumenvasen sind mir lieber«, erwiderte ich trocken.
Dave Frost lachte. »Sehr gut, Ihr Humor, Mr. Sinclair. Mir sind Vasen auch lieber, aber wer zu mir kommt, der weiß, dass seine Reste einmal in einem dieser Gefäße landen werden. So ist das nun mal.« Er blieb vor einer Nische stehen, die etwas größer war als die anderen. So gab es genügend Platz für zwei Regale, die sie unterteilten. Auf ihnen standen verschiedene Urnen.
»Es gibt die teuren und die preiswerteren Urnen. Sie können sie auch in verschiedenen Farben haben, die jedoch sind in der Regel sehr gedeckt, also angemessen. Aber es gibt auch Ausnahmen. Ich habe schon Kremierungen erlebt, da wollten die Angehörigen helle Farben haben, weil der Verstorbene sie so liebte.« Er schüttelte den Kopf. »Die Menschen sind eben sehr individuell.«
»Warum benutzen Sie eigentlich immer den Begriff Kremieren?«, erkundigte ich mich.
»Weil ich den Ausdruck Verbrennen einfach hasse. Kremieren hört sich besser an - oder?«
»Da haben Sie Recht. Nur kommt es im Endeffekt auf das Gleiche heraus, denke ich.«
»Genau.« Er deutete auf eine recht große Urne, deren Form geschwungen war. Sie bestand aus poliertem Kupfer, und wir konnten uns in ihren Seitenwänden spiegeln. »Wie ist es, Mr. Sinclair? Möchten Sie das Gefäß mal halten? Es gehört übrigens zu den teuersten.«
»Danke, ich verzichte.«
Frost unterdrückte sein Lachen nicht. »Ja, ja, in Ihrem Alter hat man noch Probleme mit den Gedanken an den Tod, das weiß ich. Aber kommen Sie, wir müssen uns etwas beeilen.«
Wenig später schob Dave Frost eine Tür auf, und so betraten wir das hauseigene Tonstudio. Regale mit CDs, ein Mischpult hinter einer Scheibe. Die gesamte Anlage sah sehr professionell aus.
Frost blieb wie ein Fremdenführer vor den Regalen stehen. Die Hände hielt er an seinem Rücken verborgen. »Wir haben hier mehr als fünfhundert Tonträger zur Auswahl. Das ist wirklich eine Menge. Die Angehörigen können sich drei davon aussuchen, die während der Zeremonie gespielt werden. Und glauben Sie mir, es sind nicht immer nur traurige Lieder, die man aus den Lautsprechern hört.«
»Die Geschmäcker sind eben verschieden«, meinte Suko.
»Zum Glück. Es wäre schlimm, wenn man stets nur die gleichen Melodien hören würde.« Er drehte sich der Tür entgegen. »Nun ja, es gibt noch einiges zu sehen. Da haben wir zum Beispiel den Raum, in dem man Abschied nehmen kann. Dort werden die Verstorbenen aufgebahrt. Ich sage Ihnen gleich, dass wir heute noch zwei Kremierungen durchführen werden. Aber ich habe die Leichen schon herrichten lassen.
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