126 - Hinter der Grenze
Normalität nicht zu geben.
Wenn wenigstens Cummings auf seiner Seite stehen würde, doch die glaubte wohl ernsthaft, dass sie mit ein wenig Arschkriecherei ihre Karriere wieder beleben konnte. Simon wusste es besser: Stuart war ein Außenseiter und Drax würde nach Beendigung der Mission nach London zurückkehren. Vor ihren Augen etwas zu leisten war reine Zeitverschwendung.
Scheiße, dachte er und rieb sich die Augen. Ich hätte mein Glück vor dem Kriegsgericht versuchen sollen.
Das leise Summen der Mechanik war das einzige Geräusch im Cockpit. Drax und Cummings saßen auf ihren Plätzen und konzentrierten sich darauf, den EWAT sicher durch die Nacht zu steuern. Stuart saß an der hinteren Wand und schrieb irgendwelche Belanglosigkeiten in ein Notizbuch, während Aruula sich zum Schlafen zurückgezogen hatte. Sie war zwar eine Barbarin, doch langsam glaubte Simon, dass sie der einzig vernünftige Mensch auf dieser Mission war. Schließlich hatte sie ebenfalls keine Sekunde länger als nötig hier bleiben wollen.
»Sir«, sagte Cummings in diesem Moment, »ich habe hier etwas auf dem Schirm, das wie eine Schlucht aussieht. Die Entfernung müsste auch stimmen.«
»Geben Sie den Kurs ein. Wir sehen uns das an.«
Drax hatte den Barbaren seine Hilfe förmlich aufgedrängt, war aber wenigstens so klug gewesen, keinen von ihnen an Bord zu lassen. Simon wusste, wie schwer es war, den Gestank wieder aus den Polstern zu bekommen. Bei der Suche hätten die Männer ihnen ohnehin nicht helfen können. Auch wenn sie den Weg kannten, aus der Luft und über einen Radarschirm hätten sie ihn nie gefunden.
»Das ist tatsächlich eine Schlucht, Sir«, bestätigte Cummings und beugte sich vor. Das Licht der starken Bugscheinwerfer riss Felsen und zersplitterte Bäume aus der Dunkelheit.
Der EWAT stieg langsam höher. Hinter Simon legte Stuart seinen Notizblock beiseite.
»Ist das eine Seitenwand der Schlucht?«, fragte er.
Drax schüttelte den Kopf. »Nein, ich glaube, das ist der Erdrutsch, von dem die Jäger gesprochen haben. Er verschließt den Eingang.«
»Können wir, hm, darüber fliegen?«
»Theoretisch schon.« Drax' Tonfall war angespannt. »Das ist aber ohne vernünftigen Sichtkontakt nicht ganz ungefährlich. Wenn der Anstieg zu steil wird, könnte das Magnetfeld den Bodenkontakt verlieren.«
Er drehte sich kurz zu Stuart um. »Die Jäger werden also wirklich sterben, wenn wir ihnen in dieser Nacht nicht helfen, richtig? Oder könnte das metaphorisch gemeint gewesen sein?«
»Es klang nicht, hm, metaphorisch.«
Wen interessiert das?, fragte sich Simon. Wir werden sterben, wenn diese Kiste abstürzt. Und das nur wegen ein paar Barbaren, die wir noch nicht einmal kennen.
Drax seufzte. »Hol Aruula nach vorne, Jed. Sie soll sich anschnallen. Es könnte etwas holprig werden.«
Simon zog seinen eigenen Gurt so fest, dass er in seine Hüften schnitt. Ihr seid doch alle nicht ganz dicht, dachte er frustriert.
***
Vergangenheit, 14.11.2011
Seit fünf Nächten schlief Aidan Wingfield im Affenzimmer.
Niemand wusste das, und er achtete sorgfältig darauf, morgens alle Spuren seiner Anwesenheit zu beseitigen. Es war vielleicht albern, aber in seinem Innersten war Wingfield überzeugt, dass den Bonobos nichts geschehen würde, so lange er bei ihnen war.
Bisher hatte er Recht behalten. Zehn Drei zeigte keine negativen Symptome, wirkte im Gegenteil sogar vitaler und gesünder als zuvor.
Dabei hatte er in den ersten zwei Stunden noch befürchtet, dass auch dieser Bonobo die Umstellung nicht überleben würde. Etwa fünf Minuten nach der Injektion hatte der kleine Körper überaus heftig reagiert, mit Fieber, Orientierungslosigkeit und Erbrechen. Aber das war nur vorübergehend gewesen; nachdem sich die Nanobots der Körperchemie angepasst oder vielmehr den Körper auf sich eingestellt hatten, waren die Symptome schnell verflogen.
Jetzt glänzte das Fell von Zehn Drei und auch das kleine Ekzem in seiner linken Armbeuge war vollständig verschwunden. Ronnie, dem diese Wunderheilung eigentlich hätte auffallen müssen, war in den letzten Tagen so geistesabwesend, dass er sie wohl einfach akzeptiert hatte.
Es geht bestimmt um eine Frau, dachte Wingfield und zog die Wolldecke enger um seine Schultern. Irgendwie geht es schließlich immer um eine Frau.
Sich selbst schloss er ebenfalls in diese Aussage ein, denn wäre seine Frau nicht vor achtzehn Jahren an Krebs gestorben, hätte er sich vielleicht nie auf die
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