1260 - Das letzte Chronofossil
zu kämpfen haben. Meine Reaktionen sind völlig normal, und auch das Kirid ist normal..."
„Nein, das ist es eben nicht, und du weißt das auch sehr genau. Du möchtest gerne, daß es normal ist. Seine Fähigkeiten machen dir angst" Sie atmete tief durch und zählte in Gedanken bis zehn. „Also gut", sagte sie so ruhig, wie es ihr möglich war. „Nehmen wir mal an, du hast recht - was soll ich deiner Meinung nach tun?"
„Reinen Tisch machen, und zwar zuerst mit dir selbst und dann mit deinem Kind. Die Tatsache akzeptieren, daß es anders ist, und es mit all seinen Fähigkeiten annehmen."
Gesil schwieg. Shrous Vorschläge waren sicher nicht einmal schlecht, aber sie fragte sich, ob er wußte, wovon er da redete. „Es ist sehr wichtig, daß du das tust", fuhr Shrou fort. „Wir haben das Zentrum von Eden II fast erreicht, und es kann nicht mehr lange dauern, bis du auf den Herrn der Elemente triffst - falls du nicht schon zu spät kommst. Du wirst all deine Kraft brauchen. Denke daran, welche Folgen ein Versagen deinerseits haben kann! Du mußt mit dir selbst und mit deinem Kind im Gleichgewicht sein - sonst kannst du es unmöglich schaffen!"
„Du bist wohl ein Experte auf diesem Gebiet, wie?"
„Nein, aber ich habe Augen im Kopf, und ich bin ein Konzept. Ich habe Erfahrungen darin, wie es ist, wenn zwei Bewußtseine in einem Körper leben müssen - und auf nichts anderes läuft die Verbindung zwischen dir und deinem Kind hinaus. Wenn das eine Bewußtsein das andere zu unterdrücken versucht, dann gerät der Körper aus dem Gleichgewicht. Dann sind die Reaktionen nicht so schnell und sicher, wie es notwendig wäre Und noch etwas: Gerade jenes Bewußtsein, das normalerweise zurückgedrängt wird, kann im Augenblick der Gefahr plötzlich übermächtig werden.
Willst du es deinem Kind überlassen, den Impuls-Aktivator ins Ziel zu steuern?"
„Vielleicht wäre das nicht einmal das schlechteste", murmelte Gesil. „Es scheint auf diesem Gebiet besser zu sein als ich."
„Hast du etwa auch noch Minderwertigkeitskomplexe ihm gegenüber? Gesil, es ist winzig klein und absolut hilflos. Es braucht dich und deinen Körper, um zu leben!"
Sie betrachtete ihn nachdenklich, und sie wußte, daß er sich verändert hatte. Sie konnte sich auch denken, was diese Veränderung herbeigeführt hatte: Es war die Erfahrung gewesen, daß er keineswegs so verschieden von den anderen Konzepten war, wie er es sich lange Zeit erfolgreich eingeredet hatte. Er war genauso verletzlich wie die anderen, genauso darauf angewiesen, daß ES weiterexistierte.
„Dw bist es, der Angst hat", stellte sie fest.
Zu ihrer Überraschung suchte er keine Ausflüchte.
„Ja", sagte er ruhig. „Ich habe Angst Ich war immer ein Außenseiter, und ich war stolz darauf. Ich wollte mit all den großartigen Dingen, die hier und anderswo passierten, nichts zu tun haben, und mit ES auch nicht. Ich habe mir eingebildet, daß ich ES die Erlaubnis, frei auf Eden II leben zu können, abgetrotzt habe. Mehr wollte ich gär nicht - einfach nur so leben, wie es mir gefiel. Ich bereue das nicht im geringsten, und ich habe auch nicht die Absicht, es in Zukunft anders zu machen, aber ich weiß jetzt, daß mir das nicht möglich sein wird, wenn es dem Herrn der Elemente gelingt, ES zu vernichten. Ich habe Angst um ES, weil ich Angst um mich selbst habe."
Nein, dachte Gesil, Shrou hatte sich gar nicht so sehr verändert. Er war immer noch der alte Egoist Er hatte lediglich begriffen, daß gerade seine vom Egoismus bestimmte Existenz in Gefahr war. Aber das spielte im Grunde genommen keine Rolle, denn es war nicht wichtig, warum er half, sondern daß er half.
„Du solltest versuchen, ein bißchen zu schlafen", sagte sie zu ihm. „Du siehst schlecht aus, du brauchst die Ruhe. Und wir haben noch eine Menge zu erledigen."
Als Shrou schlief, setzte sie sich ins weiche Moos, lehnte sich mit dem Rücken gegen einen Felsen" und lauschte in sich hinein, intensiver, als sie es seit ihrer Ankunft auf Eden II je getan hatte. Sie hörte ihren eigenen Herzschlag und das Rauschen des Blutes in ihren Ohren, aber von ihrem Kind hörte sie nichts. Sie spürte allen Bildern und allen Emotionen nach, die sie in ihrem Geist vorfand, aber sie entdeckte nichts, was nicht ebensogut ihrem eigenen Bewußtsein entstammen moqhte.
Sie kam zu dem Schluß, daß das Kind gerade schlief, und dieser Gedanke berührte sie seltsam.
Andererseits bot sich hier eine Gelegenheit, über alles
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