1263 - Das Wissen der Toten
Spiegel zerstören müssen! schoss es ihr durch den Kopf. Nur den Spiegel, den verdammten Spiegel…
Es war zu spät.
Das Jenseits griff bereits zu…
***
An diesem Tag verwünschte ich die Stadt London in die allertiefste Hölle. Besonders den verfluchten Verkehr im Zentrum, der uns fast in den Wahnsinn trieb. Es ging trotz Blaulicht kaum weiter, und manche Verkehrspolizisten, die wir sahen und die uns ebenfalls sahen, zuckten nur mit den Schultern.
Dabei hatten wir es eilig. Wir mussten durch. Es musste alles geregelt werden. Wir spürten beide, dass sich dieser an sich harmlose Fall zu einer mittelschweren Lawine entwickelt hatte.
Letztendlich schafften wir es doch, den Friedhof zu erreichen und entdecken auch Janes Wagen, über den sich bereits die Schatten der Dämmerung gelegt hatten.
Jetzt begann die Suche.
Suko und ich sprachen nicht darüber, aber wir wussten, was wir zu tun hatten.
Als wir auf dem Friedhof standen und einen ersten Blick riskierten, da kam er uns vor wie ein dichter Dschungel, der von allen Seiten zugewachsen war. Die Wege sahen wir wenig später. Einer war breit. Er führte zumindest in das Gelände hinein.
»Den nehmen wir«, sagte ich.
Suko hatte mich allein gelassen. Er war nach rechts gegangen und stand am Beginn eines Plattenwegs, der zu einer Trauerhalle führte. Dahinter lag der Bau einer Gärtnerei.
»Den nehmen wir nicht, John.«
»Warum nicht?«
»Komm her.«
Suko schob mich zu einem Weg hin, der wesentlich schmaler war und zur Ostseite hinführte.
»Was ist denn?«
»Schau nach vorn!«
Manchmal spricht er eben in Rätseln, aber diesmal hatte ich das Rätsel schnell gelöst, denn vor uns sahen wir den Schein eines Feuers in der Luft schweben.
Es war kein Feuer, das vernichtete. Das tanzte und bewegte sich nicht. Diese schwache rötliche Glut lag wie eine Kappe über den Gräbern.
Die Richtung stand fest. Ob der schmale Weg allerdings direkt bis zum Ziel führte, wussten wir nicht. Aber er war als Hinweis schon perfekt.
Wir beeilten uns. Wir schalteten unsere kleinen Leuchten ein. Ihr Lichtschein huschte über die Gräber und Grabsteine hinweg.
Plötzlich hörten wir schnelle Schritte und die keuchenden Atemzüge eines Menschen. Wir vernahmen ein Jammern, sogar leise Schreie.
Keinen Schritt gingen wir weiter. Aber zwei Lampen strahlten nach vorn - und trafen ein Ziel.
Es war eine Frau, die wir nicht kannten. Sie stand unter Stress. Ihr Gesicht war vor Angst verzerrt.
Die Augen waren verdreht, und sie lief einfach nur weiter. Sie sah nichts, aber wir sahen, dass sie schon einige Male gefallen sein musste, um sich danach wieder aufzuraffen, denn ihre Kleidung sah entsprechend aus.
Sie hätte uns auch umgerannt, wäre Suko nicht schneller gewesen und hätte sie abgefangen.
Als sie in seine gestreckten Arme hineinfiel, löste sich ein Schrei von ihren Lippen. Sie wollte sich losreißen, aber Suko hielt sie fest.
»Bitte, es ist alles in Ordnung. Wir tun Ihnen nichts. Sie sind in Sicherheit.« Er wiederholte seinen Spruch noch zwei Mal und schaffte es tatsächlich, dass sich die Frau beruhigte.
Trotzdem musste Suko sie fest halten. In seinem Griff drückte sie sich nach hinten. Sie suchte Worte, fand sie auch, konnte jedoch nicht zusammenhängend sprechen.
»Mein Sohn… meine… Tochter… am Grab… mein Sohn ist ja tot, aber er ist trotzdem da.«
Es war für uns nicht schwer, uns aus diesen Fragmenten die Tatsachen zusammenzureimen. Wir wussten auch, dass es Zeit wurde, aber ich hatte eine bestimmte Frage.
»Kennen Sie Jane Collins?«
»Ja, ja, die ist auch dort.«
»Am Grab?«
»Genau. Sie will den Toten aufhalten…«
Wenn sich Jane da nicht mal zu viel vorgenommen hatte, das war uns beiden klar. Suko und ich brauchten uns nicht erst abzustimmen. Unsere Beine bewegten sich wie von allein, als wir den Weg zu diesem ominösen Grab hinliefen…
***
Alexa hatte das Grab betreten und dort eine hockende Position eingenommen, denn sie wollte in das Gesicht der Detektivin schauen, in dem sich nichts mehr bewegte.
»Das Jenseits ist so kalt wie der Tod«, flüsterte sie. »Eiskalt - aber die Geister merken es nicht, nur die Menschen, denn sie werden von der Kälte gefressen.«
Da hatte sie Recht, denn das merkte auch Jane. So sehr ihr Körper immer mehr erkaltete, so scharf und normal arbeiteten ihre Gedanken. Sie bekam alles mit. Auch ihre Sehschärfe hatte nicht gelitten, und so sah sie Alexa vor sich hocken.
Sie hätte ihr gern etwas gesagt, aber
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