1263 - Das Wissen der Toten
zu verteidigen. »Das weißt du selbst. Ich gebe wohl zu, dass wir uns mehr um dich hätten kümmern können, dann wären gewisse Dinge sicherlich anders gelaufen, aber es war nicht immer möglich.«
»Wo ein Wille ist, da gibt es auch einen Weg, Ma. Muss ich dir das sagen?«
»Nein, aber…«
Alexa ließ sie nicht ausreden. »Außerdem ging es nicht um mich, sondern um Peter, nicht wahr?«
Jane sah, dass Tara Jenkins schluckte. Nicht nur das, sie bewegte sich unruhig auf der Stelle, denn jetzt hatte Alexa ein Thema angeschnitten, das ihr nicht gefiel. Die Detektivin merkte, wie die Spannung immer mehr in ihr anstieg. Sie hatte das Gefühl, sich allmählich dem Finale zu nähern.
»Du hast Recht.«
»Ich kenne ihn.«
»Ja, ich weiß. Es ist die Schuld…«
»Warum hast du mir nie von ihm erzählt?«
Tara suchte nach einer Antwort. »Es… es… hat sich eben nicht ergeben, muss ich eingestehen.«
»Nein, Ma, du lügst. Du bist zu feige gewesen, und Pa war es auch, verflucht.«
»Ja, ja, ich gebe dir Recht, aber…«
»Nein, keine Ausreden mehr. Heute nicht. Ab jetzt nicht. Es muss etwas klar gestellt werden, und ich weiß endlich Bescheid.«
Tara Jenkins hob ihren Kopf an. »Worüber weißt du denn Bescheid?« fragte sie leise.
»Dass Peter mein Bruder ist!«
***
Das war der Paukenschlag, der durch Janes Kopf dröhnte. Die Überraschungen rissen nicht ab. Sie hatte aus dem letzten Gespräch zwischen Mutter und Tochter herausgehört, dass es eine gewisse Dreierbeziehung geben musste, aber dass Peter der verstorbene Bruder des Mädchens war und es mit seinem Wissen beglückte, damit hatte sie nicht gerechnet.
Auch Tara zeigte sich überrascht. »Du… du… weißt über alles Bescheid, Kind?«
»Ja, das weiß ich. Peter hat es mir erzählt.«
Tara musste lachen. Es klang verzweifelt. »Aber er ist tot!« rief sie dann. »Wie kann er dir denn alles erzählt haben? Das kann ich nicht begreifen.«
»Er findet keine Ruhe in seiner Welt. Er sucht den Kontakt mit den Lebenden, obwohl er tot ist. Und er will nicht, dass es mir ebenso ergeht wie ihm. Er war doch so verzweifelt. Er war so intelligent, aber er hat das vermisst, was man Kindern am meisten zugestehen muss. Die Liebe der Eltern. Mag sein, dass ihr ihn geliebt hat, aber ihr habt es ihm nie gezeigt, und er hat es so stark vermisst. Er geriet immer mehr ins Abseits, und er war zu sehr allein. Er ist auch nicht bei euch aufgewachsen, ihr habt ihn abgegeben, weil seine Geburt damals nicht in eure Pläne hineinpasste. Er wuchs bei Pflegeeltern auf, die nicht mal weit von euch entfernt wohnten. Und dort hat er gelitten, denn die Menschen waren nicht nett zu ihm. Peter vereinsamte immer mehr, und dann kam der Zeitpunkt, als er es nicht mehr ertragen konnte, denn er…«
»Hör auf, Alexa! Bitte, hör auf!«
»Warum denn? Willst du die Wahrheit nicht hören, Ma?«
»Nein, das ist vorbei. Wir haben uns selbst gequält und…«
»Peter hat sich umgebracht, Mutter! Er hat Selbstmord begangen, verstehst du das?«
Tara Jenkins holte tief Luft. »Ja, ich weiß. Es liegt wie ein Schatten auf unserem Leben. Peter brachte sich um! Er ist nur wenig älter als du. Wir haben Fehler begangen. Ich weiß auch nicht, was ich dazu sagen soll. Es ist wenig, wenn ich mich entschuldige, aber ich kann nur immer wieder betonen, dass es mir wahnsinnig Leid tut. Ich würde alles anders machen, glaube es mir.«
»Das kann ich mir vorstellen, Ma. Aber was geschehen ist, das ist geschehen. Auch jetzt hat Peter keine Ruhe. Sein Geist wird von Schuldgefühlen gequält. Es treibt ihn durch das Jenseits wie eine verlorene Seele. Sie findet keine Ruhe. Sie irrt weiter, und es ist selbst in der jenseitigen Welt alles noch so schrecklich grausam. Er weiß nicht, wohin er gehört, aber er vermisst noch immer die Liebe seiner Eltern. Und die will er sich holen, Mutter. Er möchte wieder in der Nähe seiner Eltern sein oder eines Elternteils. Du bist oft genug hergekommen, weil dein Gewissen dich an das Grab trieb. Du hast auch gewusst, dass etwas nicht stimmte, sonst hättest du Jane nicht kommen lassen, eine Detektivin, eine Schnüfflerin. Aber das ist alles zu spät. Du kannst dich nicht, gegen das Schicksal stemmen. Ich bin Peter dankbar, denn mir hat er geholfen. Er ist für mich wirklich der große Bruder geworden…«
»Hör auf!« flüsterte Tara Jenkins scharf. »Bitte, Alexa, du musst aufhören.«
»Meldet sich wieder dein Gewissen?«
»Ich kann nichts tun! Begreife das
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