1263 - Das Wissen der Toten
erleben. Aber sie fand sich schnell damit ab und lauerte darauf, wie es weitergehen würde.
Sie selbst hielt sich zurück. Bewegte sich nicht. Sie ging zudem davon aus, dass sie von Tara Jenkins nicht entdeckt worden war, und das sollte vorerst auch so bleiben.
Tara Jenkins war mit langsamen Schritten gegangen, und das änderte sich auch nicht, als sie näher an das Grab herantrat und an dessen Fußende zunächst stehen blieb.
Janes Stellung zu ihr war günstig. Sie konnte der Frau ins Gesicht schauen. Zwar wurde es durch Licht und Schatten fast zu einer Maske gemacht, aber ihr fiel letztendlich doch auf, wie überrascht sie schon schaute. Wahrscheinlich wunderte sie sich darüber, dass die Kerzen bereits brannten.
Aber sie tat nichts dagegen. Tara wirkte wie ein völlig normaler Mensch, der das Grab eines Angehörigen besucht. Sie schaute darüber hinweg, und ihr Blick biss sich fast an dem hohen Grabstein fest, als wollte sie die Schrift dort noch mal genau lesen.
Um den Spiegel hatte sie sich bisher nicht gekümmert. Wie eine Statue blieb sie vor dem Grab stehen, keine Regung im Gesicht, dessen Züge wie gemeißelt wirkten.
Etwa eine Minute verstrich, ohne dass sich etwas tat.. Aber die Spannung war schon gestiegen, das spürte Jane sehr deutlich. Tara Jenkins war nicht ohne Grund gekommen, und Jane fühlte sich immer mehr als Mittel zum Zweck. Wahrscheinlich hatte sie genau das getan, was Tara sich nicht traute.
Endlich drehte die Frau den Kopf nach links. Da musste sie hinschauen, um einen Blick in den Spiegel zu werfen, der dort stand wie ein heimlicher Beobachter.. In seiner Fläche war das Licht der Kerzen eingefangen worden, als sollte es dort die Strecke zum Jenseits hin ausleuchten.
Noch hatte sich dort nichts verändert. Der Spiegel und seine Fläche blieben ruhig. Das Licht war auch in die wolkigen Teile eingedrungen und hatte sie gefärbt.
Bis plötzlich die Bewegung entstand.
Jane Collins und Tara Jenkins sahen es zugleich. Während Jane ihre Lippen zusammenpresste, konnte die Frau einen leisen Schrei nicht unterdrücken. Was sie sah, setzte ihr mehr zu als Jane, denn im Spiegel waren zwei Gestalten zu sehen.
Zum einen Alexa und zum anderen Peter, der allerdings sehr verschwommen wirkte.
Jane war von einer berstenden Spannung erfüllt worden. Bald würden sich beide gegenüberstehen, und sie wartete auf eine Reaktion der Frau, wenn es zum Kontakt mit der Tochter kam.
Alexa schob sich vor. Man musste es so sehen. Sie ging nicht normal, sie schwebte, und sie sah dabei aus, als wäre sie von einer Leichenstarre erfüllt.
Obwohl Alexa aus dieser Zeit stammte, wirkte sie in ihrer Aufmachung wie eine Person aus der Vergangenheit. Das schlichte Kleid, die Zöpfe, die unmoderne Brille auf der Nase und auch die hellen, dicken Strümpfe zählten dazu.
»Kind…«
Es war die erste Reaktion, die Jane Collins mitbekam. Aber Alexa reagierte nicht auf den Ruf ihrer Mutter. Sie ließ sich von dem, was sie tat, nicht ablenken. Es war auch schwer zu verfolgen, wann sie den Spiegel verlassen würde. Innerhalb dieser Fläche waren die Dimensionen so gut wie nicht vorhanden.
Dann stand sie plötzlich draußen, und Jane wunderte sich über das Mädchen. Sie war eigentlich davon ausgegangen, dass sich Alexa überrascht zeigen würde oder sich zumindest erst mal zurechtfinden musste, doch beides war nicht der Fall. Sie wusste sofort, wer sie war, wo sie stand, und sie sah auch ihre Mutter.
»Hallo, Ma, du bist gekommen?«
»Ja. Wie du siehst…«
»Warum?«
»Ich habe deinen Ruf gehört.«
Alexa lächelte. »Das ist gut, das gefällt mir. Aber war es nur mein Ruf oder nicht auch dein schlechtes Gewissen, das dich an das Grab hier getrieben hat? Du stehst ja nicht zum ersten Mal hier, denn du bist es gewesen, die es mit den Kerzen geschmückt hat, um es zu einer besonderen Stätte zu machen, was ich bis heute nicht gewusst habe.«
Tara Jenkins senkte den Kopf. »Ja, es stimmt. Ich habe die Kerzen aufgestellt.« Sie gab es flüsternd zu. So wie sie sah eine Person aus, die sich schämte.
»Es wurde dir von deinem schlechten Gewissen befohlen, nicht wahr?«
Sie nickte.
»Es ist gut, dass du es zugibst, Ma, aber du kannst nicht ungeschehen machen, was passiert ist. Du und Vater, ihr beide habt große Schuld auf euch geladen, denn es ging bei euch nur um die Karriere und den Egoismus. Nichts anderes habt ihr gewollt. Da waren Kinder ein Hindernis.«
»Nein, Alexa, so ist das nicht.« Tara versuchte, sich
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