1265 - Im Visier der Schattenhexe
in die Wohnung und legten ihn dort auf die Couch. Shao besorgte warmes Wasser und säuberte zunächst sein Gesicht. Dabei sah sie auch die Beule auf seinem Kopf, erschrak und drehte sich zu mir hin um.
Ich saß im Sessel und trank Bier aus der Dose. Das brauchte ich jetzt einfach. »Eine Gehirnerschütterung hat er wohl nicht, aber er ist angeschlagen.«
»Er muss ins Bett.«
»Richtig.«
Von Suko hörten wir keinen Protest. Er sah auch aus, als stünde er vor dem Einschlafen. Shao und ich schafften ihn ins Schlafzimmer. Wir zogen ihm noch die Schuhe aus und die Oberbekleidung.
Dann ließen wir ihn liegen, weil er eingeschlafen war und es keinen Sinn hatte, ihn jetzt zu wecken und ihn zu verarzten.
Erst im Wohnzimmer stellte Shao mir ihre Frage. »Das ist knapp gewesen, oder?«
Ich leerte den Rest Bier aus der Dose. »Es war mehr als knapp, Shao, und wir haben leider verloren.«
Sie blickte mich skeptisch an. »Eine richtige Niederlage habt ihr einstecken müssen?«
»Ja.«
»Komm, die Zeit hast du noch«, sagte die Chinesin mit den langen dunklen Haaren. »Das musst du mir erzählen.«
Ich tat es gern, denn ich war einfach innerlich zu aufgeregt, um jetzt ins Bett gehen und schlafen zu können. So bekam Shao die Geschichte zu hören, die sie schockte. Ein paar Mal strich sie über ihr Gesicht und schüttelte den Kopf, als könnte sie es nicht fassen.
»Und es stimmt, dass Glenda ebenso verschwunden ist wie dein Kreuz, John?«
»Leider.«
Shao schloss für einen Moment die Augen. Als sie wieder offen standen, fragte sie: »Was willst du denn jetzt tun?«
Ich zuckte die Achseln. »Das weiß ich nicht, ehrlich gesagt.«
»Mein Gott«, flüsterte sie nur. »Wo soll das noch enden?«
Genau das fragte ich mich auch…
***
Albtraum, Halluzination oder Realität!
Glenda Perkins wusste keine Antwort darauf zu geben, denn sie befand sich in einem Zustand, von dem sie bisher nicht geglaubt hätte, dass es ihn überhaupt gibt. Aber sie hatte das Glück, dass sie ihr Denken zurückdrängen oder fast ausschalten konnte, und so erlebte sie die Wirklichkeit nur am Rande mit.
Jemand hielt sie fest. Jemand riss sie weg. Jemand sorgte dafür, dass sie mit den Füßen nicht mehr auf den Boden kam. Sie jagten durch die Luft. Glenda spürte den Wind, der immer wieder gegen sie schlug. Sie öffnete die Augen, weil sie sehen wollte, wo sie sich befand, aber die Dunkelheit war einfach zu intensiv. Wenn sie etwas erkannte, dann waren es nicht mehr als schattenhafte Umrisse.
Sie wechselten, verschwanden, kehrten zurück, blieben jedoch nie so konkret, dass Glenda sich hätte orientieren können.
Es war wirklich eine wilde Reise durch die Dunkelheit, die nur hin und wieder von hellen Flecken zerstört wurde. Das Zeitgefühl war für sie ebenfalls verloren gegangen. Sie wusste nicht, wie lange sie sich in diesem Zustand befand, aber sie glaubte auch, Stimmen zu hören, die in einem Schrei endeten.
Wenig später erlebte sie in ihrer Nähe einen Ruck. Für kurze Zeit sackte sie ab, hatte sich aber rasch wieder gefangen und hörte einen Satz, der oft ausgesprochen wird.
»Das war knapp!«
Mehr bekam Glenda nicht zu hören. Ein scharfer Windstoß fuhr gegen sie, als wollte er ihr die Gedanken aus dem Kopf pusten. Sie schaffte es auch nicht mehr, sich zu orientieren, denn plötzlich war nur noch das Sausen in ihren Ohren zu hören. Sie schloss die Augen und kniff sie noch fester zusammen, denn Glenda hatte einen Punkt erreicht, an dem sie nichts mehr hören und sehen wollte.
Sie hatte erlebt, dass es keine schnelle Rettung für sie gab, keine fremde Hilfe, denn sie befand sich voll und ganz in den Händen der Gegner.
Irgendwann hörte sie Stimmen. Da spürte sie auch festen Boden unter ihren Füßen. Die Stimmen gehörten einer Frau und einem Mann. Beide sprachen im Flüsterton.
»Nein, noch nicht, Justine.«
»Warum nicht?«
»Wir heben sie uns auf. Eine Testperson. Ich will sehen, ob die anderen schon so weit sind. Drei sind geflohen, aber die Mehrzahl hat es nicht geschafft.«
»Wir sollten sie Sinclair doch zurückschicken.«
»Das werden wir auch. Aber später.«
»Du hast sie mir versprochen.«
»Ja, ich weiß. Ich denke daran, und du wirst noch deinen Spaß bekommen, Justine.«
»Das hoffe ich.«
»Lass es gut sein. Wir werden unseren Plan fortführen, und dann sehen wir weiter.«
Glenda hatte jedes Wort gehört. Deshalb wusste sie auch, dass es um sie ging. Sie hätte sich gern eingemischt, denn sie war
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