1268 - Die Tiermeister von Nagath
offensichtlich noch nicht bemerkt. Seine Blicke suchten ununterbrochen die Umgebung ab, aber auf die Idee, daß jemand hinter dem Steinhaufen hockte, kam er wohl nicht.
Path unterdrückte das Lachen, das mehr als berechtigt gewesen wäre, denn der Mann war splitternackt. Sie überprüfte ihren Translator. Dieses Gerät funktionierte wenigstens.
Ob der Nackte auch das Sothalk der Shabaren beherrschen würde, wußte sie nicht.
Zumindest war das wahrscheinlicher als Interkosmo.
Sie wartete, bis der Mann auf etwa zwanzig Meter herangekommen war.
„Hallo!" sagte sie und drückte dabei die Sensortaste, die verhinderte, daß der Translator ihre eigenen Laute unterdrückte. „Schönes Wetter heute. Aber doch ein bißchen zu kühl, um nackt in der Gegend herumzulaufen. Oder bin ich hier an einem Strand für Freikörperkultur gelandet?"
Mit dem Schamgefühl hatte sie keine Probleme. Sie hatte einmal gelesen, daß früher Terraner wie Antis und Arkoniden damit Probleme gehabt hatten, aber das glaubte sie nicht.
Der Translator übersetzte die Worte in Sothalk, als sie schwieg.
Der nackte Mann kauerte sich erschrocken zu Boden. Sein Kopf flog ruckartig in die Richtung, aus der die Stimme kam. Er erblickte das Mädchen, das in halber Höhe auf dem Steinhaufen hockte und ihm zuwinkte.
Er stieß ein kurzes „Ah!" aus, drehte sich um und rannte davon.
„Nur keine Panik, mein Freund", rief das Anti-Mädchen ihm gutmütig hinterher. „Ich tu dir doch nichts."
Der Nackte reagierte nicht darauf.
Path kletterte auf die Spitze des Steinhügels. Wieder zischte der Distelfrosch warnend.
„Was hast du?" fragte sie.
„Krrr", grunzte Plump und verkroch sich in einer Lücke zwischen den Steinen.
Path hörte eine leise Melodie. Sie klang beschaulich und beruhigend. Die Töne enthielten keine Worte. Sie schwollen an und ebbten wieder ab, und sie vermittelten keinerlei Aggressivität.
Auch der davonlaufende Nackte vernahm diesen seltsamen Gesang. Seine Schritte wurden langsamer. Schließlich blieb er stehen. Die Klänge kamen fraglos nicht aus seinem Mund.
Aus dem niedrigen Gras erhob sich eine andere Gestalt. Ihr Aussehen wirkte auf das Anti-Mädchen schockierender als der nackte Mann. Aus dem breiten Maul des aufrecht gehenden Sauriers kamen die seltsamen Laute, die eine hypnotische Wirkung zu haben schienen.
Das Tier war etwa zwei Meter groß und besaß kräftige Laufbeine mit ausgeprägten Oberschenkeln. Der birnenförmige Körper war unten wesentlich breiter als an den schmalen Schultern. Die oberen Extremitäten waren reine Arme, denn im Vergleich zu den starken Beinen wirkten sie fast verkümmert. Dieses Tier ging immer so aufrecht wie jetzt, als es trällernd auf den nackten Mann zuschritt, der wie gelähmt zu sein schien.
Der kantige Echsenschädel wiegte sich im Takt der Melodie. Die Arme beschrieben seltsame Bewegungen in der Luft. Diese schienen einen Teil der Hypnose auszumachen.
Die kleinen, in schwere Tränensäcke gebetteten Augen starrten gierig auf das Opfer, das zu keiner Reaktion mehr fähig war.
Path war an Bord der LASHAT zwar auch im Umgang mit Waffen, insbesondere mit denen des SERUNS, ausgebildet worden, aber sie hielt nicht viel davon. Außerdem war es sehr fraglich, ob diese Systeme in Anbetracht der fast vollkommenen Störung der Kampf- und Raummontur überhaupt noch funktionierten.
Würde ihre Fähigkeit als Realholografin auch versagen? Sie stellte sich kurz diese Frage. Eine Antwort konnte nur ein Versuch erbringen. Vorbilder lagen zu ihren Füßen.
Steinbrocken aller Größen.
Sie erzeugte einen realen Klumpen Fels über dem Kopf des Sauriers und ließ diesen auf dessen Schädel knallen. Das Tier sank mit einem Wehlaut zu Boden. Der Gesang erstarb augenblicklich, und der Nackte hetzte davon, als wäre der Teufel persönlich auf seinen Fersen.
„Siehst du!" sagte Path zufrieden. „So ergeht es jedem Iguanodonten, der nackte Männer hypnotisieren will."
„Igeldonten", schmatzte der Distelfrosch. „Interessieren." Er kroch aus dem Loch und folgte dem Mädchen. Path wollte ihr Opfer aus der Nähe betrachten.
Ihre Furcht war verflogen, weil sie sich nun wieder sicher war, daß sie sich in Notfällen auf ihre Kräfte, die sie selbst nicht verstand, verlassen konnte.
„Erst die Echse begucken", sagte sie. „Dann kannst du mal versuchen, deinen Longasc zu finden."
*
Zweiter Tag: „Es muß doch noch eine Chance für Path geben." Jennifer Thyron trug deutliche Sorgenfalten im
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