1269 - Julie
und…«
»Nein, nein, das ist nicht nötig. Du hast in den letzten Tagen genug mitgemacht. Es ist besser, wenn du dich um Suko kümmerst. Du kannst ihn dann pflegen.«
»Ja, ja, das mache ich doch gern.«
Wir verabschiedeten uns, und ich ließ mein Handy verschwinden. Dann streckte ich die Beine aus und blieb noch etwa eine halbe Minute sitzen.
Meine Stirn hatte sich in Falten gelegt, weil ich stark über den Auftritt des Lügenengels nachdachte und mich fragte, was er mit Julie Wilson zu tun hatte? Was wollte er von ihr?
Es war nicht korrekt, bei ihm von einem Aufgabengebiet zu sprechen, aber so ähnlich musste ich es ansehen. Er hatte ein Motiv, er hatte einen Plan. Umso schlimmer, dass in dessen Mittelpunkt ein achtjähriges Mädchen stand, das sich nicht mal gegen ihn wehren konnte, denn er setzte alle Tricks ein, um es zu überzeugen.
Ich stand wieder auf und ging die wenigen Meter zum Zimmer der Julie Wilson.
Hinter der Tür hörte ich keinen Laut. Wenn sich die beiden unterhielten, dann leise.
Ebenso leise klopfte ich an, bevor ich die Tür öffnete. Es hatte sich nichts verändert. Ich erlebte die gleiche Szene wie schon mal. Das Mädchen saß auf seinem Bett und hatte die Beine übereinander geschlagen. Julie hob den Kopf, als ich die Tür öffnete. Sie schaute mich nicht eben freundlich an, sehr schnell aber blickte sie zur Seite, um mich nur nicht zu sehen.
»Und?«, fragte ich Sina.
Sie zuckte die Achseln. »Es ist alles ruhig geblieben. Es hat sich nichts verändert, und sie hat auch kein Wort mit mir über die Sache am Bach gesprochen.«
»Das hatte ich mir gedacht.«
»Was wollen wir denn jetzt tun, John?«
Ich fand auf dem Deckel einer stabilen Spielzeugkiste meinen Sitzplatz und gab die Antwort. »Nichts.«
»Bitte?«
»Ja, wir werden nichts tun, aber wir werden auch nicht gehen. Wir werden warten.«
»Und worauf?«
»Dass etwas passiert, Sina. Ich gehe davon aus, dass dies der Fall sein wird. Es kann natürlich länger dauern. Darauf müssen wir uns eben einstellen.«
»Ja, gut.« Sie stand auf. »Dann werde ich uns mal etwas zu trinken holen. Es ist warm hier im Zimmer. Soll ich das Fenster wieder öffnen? Ich habe es geschlossen.«
»Kann man es kippen?«
»Gute Idee.« Sie ging hin und kippte die Scheibe, sodass etwas von der Nachtluft hereinwehen konnte. Dann verließ sie den Raum. Ich blieb mit Julie zurück.
Es war schon ein seltsamer Fall, auf den ich hier gestoßen war. Mit meinen anderen kaum zu vergleichen. Erst recht nicht mit dem letzten, als wir das chinesische Grauen zerschlugen. Dieser hier lief ganz anders ab. Gewaltfreier, und ich konnte nur hoffen, dass es dabei auch blieb. Ob es stimmte, würde sich herausstellen, denn einer wie Belial war alles andere als ein Chorknabe.
Ich ließ das Mädchen nicht aus den Augen. Es vermied tunlichst den Blickkontakt mit mir und schaute auf ihre Knie, die vom langen Kleid verdeckt wurden. Die Schuhe hatte sie ausgezogen. Sie standen vor dem Bett. Am Leder und an den Sohlen klebten Gras und kleine Blätter.
»Julie«, sagte ich leise.
Sie schüttelte den Kopf.
»Bitte, Julie, ich muss mit dir reden. Sei doch nicht so stur. Ich habe dir nichts getan. Wir sollten wirklich zusammenhalten. Es geht um einen Engel, da gebe ich dir Recht, aber du musst auch die Unterschiede begreifen, die zwischen ihnen bestehen. Nicht alle Engel sind lieb und nett. Deiner ist es nicht, Kind. Das sollte allmählich in deinen Kopf hineingehen.«
»Nein.«
Ich schwieg. Es war mir im Moment unmöglich, den Panzer zu durchbrechen, in den sie sich eingehüllt hatte. Sie war nicht zu belehren. Erst recht nicht von einem Fremden. Wenn sie redete, dann musste Sina Franklin den Panzer aufbrechen.
Sie ließ sich mit ihrer Rückkehr Zeit. Wahrscheinlich tat sie es bewusst, damit ich Gelegenheit fand, ein vertraulicheres Verhältnis zu dem Kind aufzubauen.
Ich versuchte es noch mal. »Warum sprichst du nicht mit mir?«
»Ich will nicht!«
»Aber ich möchte dir helfen!«
Sie antwortete nicht. Aber sie änderte ihr Verhalten. Auf dem Bett ruckte sie herum und nahm eine andere Haltung ein. Die Augen schienen etwas gesehen zu haben. Sie waren starr nach vorn gerichtet, aber auch hinein ins Leere. Ich beobachtete ihre Lippen, die sich zu einem schon wissenden Lächeln verzogen.
Etwas war passiert, womit ich nicht gerechnet hatte. Und das ich auch nicht hatte sehen können.
»Was ist los, Julie?«
Sie interessierte sich weder für meine Frage noch für
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