1269 - Julie
schaute sie nur an. Seine Augen waren so klar, so ohne Gefühl, und dann streckte er eine Hand aus. Sie sah die langen grauen Finger und hörte plötzlich so etwas, das wie eine Stimme klang.
Für sie allerdings waren es mehr Worte, die von einer dissonanten Musik umschlossen wurden. Düster, jedes für sich sah sie als eine finstere Drohung an.
»Du wirst die Finger von dem Mädchen lassen«, glaubte sie hervorzuhören.
»Julie gehört mir, verstehst du? Sie gehört mir ganz allein. Ich brauche sie, aber nicht du…«
Sina Franklin nickte, obwohl sie es nicht wollte. Jemand schien sie dabei geleitet zu haben. Sie hoffte, dass der Lügenengel fertig war, aber sie irrte sich, denn er redete weiter.
»Heute werde ich dich noch ungeschoren lassen. Solltest du nicht gehorchen, wirst du vernichtet.«
Die Worte trafen sie hart. Dieses Versprechen nahm Sina der monströsen Gestalt durchaus ab. Engel stehen über den Menschen. Engel können sie manipulieren, und Sina Franklin konnte nichts gegen ihr Zittern tun. Urplötzlich erwischte sie die Reaktion ihres Körpers. Ihre Knie wurden weich, und der Engel verschwamm vor ihren Augen. Er drehte sich von ihr weg und ging seinen Weg.
Sina sah ihn noch auf die Mauer zugehen. Dabei wusste sie nicht, ob er den Boden berührte oder über ihn hinwegschwebte.
Dass er ging, sah sie nicht mehr, denn da rutschte sie bereits am Türpfosten entlang ohnmächtig zu Boden…
***
Es war zum Glück eine Küche in der Nähe, denn dort hatte ich kaltes Wasser gefunden. In einer kleinen Schale brachte ich es zu Sina Franklin, die ich ohnmächtig vor der Küchentür liegend gefunden hatte.
Das Wasser war sehr kalt, und es verfehlte seine Wirkung nicht, als es in das Gesicht der Frau floss. Ich kannte den Grund ihrer Bewusstlosigkeit nicht, aber ich dachte immer wieder an die Reaktion des Mädchens und damit auch an Belial.
Er konnte die Ursache für den Zustand der Frau gewesen sein, aber das würde sie mir selbst sagen, denn sie kehrte allmählich aus ihrem Zustand zurück.
Als sie die Augen öffnete, sah ich sofort den Schrecken darin aufleuchten. Schockartig musste das Erlebnis wieder in ihre Erinnerung zurückgekehrt sein. Sie öffnete den Mund. Ich ahnte, dass sie anfangen würde zu schreien und sprach sie deshalb mit ruhiger Stimme an. »Bitte, Sina, es ist alles okay. Ich bin es. Sie hatten einen kurzen Blackout.«
Die Frau überlegte kurz. Sie bewegte auch ihre Augen, um mehr von der Umgebung zu sehen. Dann flüsterte sie: »Ist er weg?«
»Wen meinen Sie?« Ich fragte bewusst nach.
»Er - er natürlich.«
»Belial?«
»Ja, er ist es gewesen. Er hat hier gestanden. Er hat mich gesehen, und ich habe ihn gesehen. Ich soll die Finger von Julie lassen, weil sie ihm gehört.« Sie klammerte sich an meinem rechten Arm fest. »Haben Sie das gehört, John? Haben Sie mich verstanden?«
»Alles.«
Es kam wieder über sie, und Sina schaffte es kaum, sich zu fangen. »Es gibt ihn. Es gibt diesen verfluchten Engel. Und er sieht einfach nur schrecklich aus.«
»Wie genau?«
»Julie hat ihn so gezeichnet. Er trug nichts auf seiner grauen Haut und war am gesamten Körper nackt. Es war schlimm für mich. Er hat sogar gesprochen, und dann… dann … konnte ich nicht mehr. Ich bin einfach ohnmächtig geworden. Er ist gegangen. Ich weiß nicht, wohin. Haben Sie ihn gesehen?«
»Nein.«
»Er wird doch nicht zu…«, sie hielt sich zurück, weil sie es nicht glauben konnte.
Ich wusste sehr gut, wen sie meinte. »Einen Augenblick, das werden wir gleich haben.«
Unbesorgt war ich nicht, als ich auf das Zimmer der Julie Wilson zulief.
Nach mir war die Tür nicht wieder zugefallen, sodass ich in den Raum hineinblicken konnte.
Julie Wilson hatte ihn nicht verlassen. Sie saß nicht mehr auf dem Bett, sondern hatte sich auf den Rücken gelegt. Die Arme und die Hände hielt sie eng an ihren Körper gedrückt, und als mein Schatten über sie fiel, da bewegte sie die Lippen.
Sie lächelte.
Nur lächelte ich nicht zurück, denn diese Botschaft gefiel mir nicht. Das Lächeln war einfach zu schadenfroh, als wollte sie mir dadurch erklären, dass ich keine Chance mehr hatte und jetzt alles in den Händen des Engels lag.
»War er hier?«, fragte ich leise.
Julie gab mir keine Antwort.
»Hast du ihn gesehen?«
»Er ist immer da.«
»Hier im Zimmer?«
»Er lässt mich nicht im Stich. Er braucht mich, verstehst du? Er ist mein Freund…«
Wenn ich ihr alles glaubte, das allerdings nicht. Einer
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