1270 - Belials Liebling
wahrscheinlich auch. Du siehst, es liegt nicht an mir.«
Der Junge nickte. Danach schaute er Larry Gale an. Sehr direkt sogar. Der Blick seiner dunklen Augen bohrte sich in die Augen des Mannes, und Larry Gale spürte deutlich die Veränderung. Er hatte das Gefühl, dass etwas Fremdes ihn erreichte und auch in ihn eindrang. Er wurde übernommen und suchte nach seinem eigenen Willen.
»Kann ich mitfahren?«
Obwohl der Junge noch vor ihm stand, erreichte ihn die Stimme wie aus weiter Ferne.
Nein, wollte er sagen. Tatsächlich aber nickte er und erwiderte: »Klar, ich nehme dich mit.«
»Danke.«
Der fremde Junge hatte schon einen Fuß auf die Trittfläche gesetzt, als ihn Larrys Frage erreichte.
»Wie heißt du eigentlich?«
Der Junge drehte sich um. Er lächelte. Danach sagte er mit leiser Stimme: »Mein Name ist Elohim…«
»Okay, steig ein.«
***
Sina Franklin hatte sich wirklich der Welt entrissen gefühlt, in dieser Zeitspanne, als so vieles anders geworden war. Aber auch das ging vorbei, und jetzt kam sie wieder zu sich und fühlte sich wie nach einem kurzen, unruhigen Schlaf.
Sie saß noch immer auf der Bank, war aber weit vorgerutscht und hätte leicht abrutschen können.
Sie atmete tief durch. Dabei versuchte sie, die Gedanken zu sortieren und ging davon aus, dass etwas in der jüngsten Vergangenheit mit ihr geschehen war.
Sina stand auf, drehte sich, fühlte einen leichten Schwindel und schaute zum Lindenbaum hoch. Das Blattwerk bildete die dichte Krone, die noch immer einen großen Teil des Sonnenlichts filterte.
Manche Blätter schimmerten leicht golden, wenn sie von den Strahlen getroffen wurden, zwischen anderen wiederum hatten sich dunkle Röhren aufgebaut, denn dort herrschte der Schatten vor.
Fahrig strich Sina über ihre Stirn. »Da ist doch was gewesen«, flüsterte sie vor sich hin. »Ich habe es genau gesehen, und ich habe es nicht geträumt.«
Sie sah nichts mehr, doch in der Erinnerung formte sich allmählich das Bild.
Ein graues Gesicht. Nein, es war kein Gesicht, sondern eine Fratze mit bösen Augen.
Belial, der Lügenengel!
Er hatte sich in der Baumkrone versteckt gehalten. Er, das personifizierte Grauen, hatte auf sie herabgeschaut. Er war ein Bote des Teufels und jemand, der sich nur in der Hölle wohl fühlen konnte.
Jetzt war er weg!
Sina hätte sich darüber freuen müssen, sie tat es jedoch nicht. Auch wenn sie ihn nicht zu Gesicht bekam, wusste sie, dass er als Unsichtbarer ebenfalls alles im Griff hatte, und das machte ihr Angst.
Jetzt erst fielen ihr die beiden Mädchen ein, die versprochen hatten, zur Bank zu kommen.
Sie waren nicht da!
Sie hatten gelogen!
Sofort durchschoss die Heimleiterin wieder ein heißer Strahl. Gelogen also. Warum hatten sie das getan? Es gab keinen Grund. Sie hatte sich nur mit ihnen auf der Bank unterhalten wollen. Trotzdem waren sie nicht gekommen.
Fast hätte sie sich selbst gegen den Kopf geschlagen, weil die Lösung so einfach war und auf der Hand lag. Es hing einzig und allein mit ihm zusammen, mit Belial, dem Lügenengel. Er musste die beiden schon so stark unter seiner Kontrolle haben, dass sie gar nicht mehr anders konnten als zu lügen. Da passte es ihnen schon in den Kram, wenn sie allein im Heim zurückblieben.
Das Vertrauen zu beiden Kindern war vorbei. Sina hatte sich bemüht, aber man wollte sie nicht.
Man wollte sie kalt stellen, die Mädchen hatten sich für den Lügenengel entschieden, und das machte sie verrückt. Sie konnte und durfte es nicht zulassen. Es war ihre Aufgabe, die Kinder vor Schaden zu bewahren, und dabei ging es nicht nur ums körperliche.
Plötzlich hatte sie es eilig. Der Baum und die Bank waren nicht mehr wichtig. Sie musste so schnell wie möglich zurück ins Haus, um dort nachzuschauen, was passiert war. In ihr baute sich das unbestimmte Gefühl auf, dass es ein Fehler gewesen war, das Heim zu verlassen.
Zum Glück gab es die gepflegten Wege, so brauchte sie nicht über den Rasen zu laufen. Sie beeilte sich so sehr, dass sie leicht außer Atem und ins Schwitzen geriet und erst nahe der Tür ihre Schritte verlangsamte.
Einer der Lieferanten war da und schaffte Lebensmittel in den Keller, zu dem eine Außentreppe führte. Der Mann kam hoch, als Sina die Haustür fast erreicht hatte.
»Gut, dass ich Sie treffe, Mrs. Franklin. Ich brauche noch Ihre Unterschrift.«
»Haben Sie denn Vivian Donnegan nicht gesehen?«
»Nein.«
»Komisch. Na ja, geben Sie her.«
Sina unterschrieb blind. Sie
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