1270 - Belials Liebling
aber vorhanden.«
»Wo?«
Suko zeigte ein angespanntes Gesicht, als er sich auf der Stelle drehte. Er wies auf die Nische und genau dorthin, wo das Zimmer einer gewissen Julie Wilson lag. Ich brauchte nur einen großen Schritt zu gehen, um das Stöhnen ebenfalls zu hören.
Augenblicklich blieb ich stehen. Irgendetwas an meinem Rücken fror ein. Ich spürte auch das Zittern in den Knochen trotz meiner Starre und machte mir die schlimmsten Vorstellungen. Es konnte etwas Schreckliches passiert sein, das war die eine Seite. Es gab noch eine andere. Das Stöhnen konnte mir auch Hoffnung machen, denn wenn ein Mensch stöhnte, dann war er nicht tot.
Ich lief hin. Selbst Suko wurde von meinem Start überrascht. Dann sah ich, dass die Tür zum Zimmer des jungen Mädchens nicht geschlossen war, sondern offen stand.
Ich zerrte sie ganz auf.
Die Frau lag rücklings auf dem Bett. Sie konnte nicht gestöhnt haben, denn sie war tot. Das sah ich aus dieser Entfernung sogar sehr genau. Um ihren Hals hatte sich ein Schal aus Blut gelegt.
Das Stöhnen stammte von einer anderen Person, und sie saß auf dem Boden. Es war Sina Franklin.
Sie hatte die Hände gegen ihr Gesicht geschlagen. Sie stöhnte und zitterte wie unter einem Schüttelfrost.
Ich tat zunächst nichts. Ließ Suko eintreten und legte diesmal meinen Finger auf die Lippen.
Mein Freund verstand. Er schaute sich kurz um, dann wies er auf Sina Franklin.
»Wir müssen sie wegbringen.«
»Wohin?«
»Am besten in ihr Büro.«
»Okay.«
Das übernahm Suko. Er hob die zitternde Person an, die zuerst gar nicht merkte, was mit ihr geschah. Erst als wir schon ihr Büro erreicht hatten, wurde ihr bewusst, dass sie nicht mehr auf dem Boden saß. Die Hände fielen nach unten. Sie starrte plötzlich in ein fremdes Gesicht und wollte schreien.
»Nicht, Sina, nicht!« Ich war schneller und hielt meine Hand leicht gegen ihre Lippen gedrückt.
Sie senkte den Kopf. Einen Moment später weinte die Heimleiterin hemmungslos…
***
Ich hatte es geschafft und nach einiger Sucherei eine Flasche Gin aufgetrieben. Ob er die richtige Medizin für Sina Franklin war, wusste ich nicht, aber ich wollte es versuchen und gab ihr aus einem Glas, das ich ebenfalls gefunden hatte, ein wenig davon zu trinken.
Sie schluckte den Gin und schaute mich dabei an. Ihre Augen waren groß und vom Weinen feucht.
Sie blickte allerdings durch mich hindurch, das war ebenfalls zu sehen. Sie schluckte den Gin, sie hustete nicht, sie trank das Glas einfach leer und ließ es dann durch ihre Hände rutschen. Bevor es zu Boden fallen und zerbrechen konnte, fing ich es auf und stellte es ab.
Wir hatten sie in einen der beiden Besuchersessel gesetzt. Er besaß ein kantiges Gestell, und seine Sitzfläche war mit grünem Stoff bezogen.
»Sie ist tot«, flüsterte Sina. »Vivian Donnegan ist tot. Man hat sie ermordet.« Sie wiederholte ihre Worte immer wieder.
Erst als ihre Stimme leiser wurde und schließlich nicht mehr zu hören war, sprach ich sie wieder an.
»Haben Sie den Mörder gesehen, Sina? Kann es sein, dass Sie…«
»Nein, John, nein. Ich sah nur die Tote. In Julies Zimmer. Sie… sie hat Vivian getötet.«
»Das ist nicht bewiesen.«
»Aber sie ist zurückgekehrt, um ihre Jacke zu holen. Sie kommt immer wieder zurück.«
»Wir können es nicht beweisen.«
»Ja, ja… warum musste Vivian sterben? Sie hat doch keinem etwas getan? Sie war unschuldig. Bitte, ich… ich… kann mir das nicht vorstellen. Warum?«
»Wir werden es herausfinden.«
»Der Lügenengel?«
»Daran glaube ich eher.«
Sina sagte nichts. Sie dachte darüber nach und bewegte ihren Kopf sehr schwerfällig zur Seite.
Plötzlich schrak sie zusammen, holte pfeifend Luft und riss die Augen weit auf, denn sie hatte einen Fremden gesehen.
Für mich war er nicht fremd, und Suko versuchte auch, sein bestes Gesicht zu machen.
Die Frage las ich von ihren Lippen ab. Sie brauchte sie nicht erst zu stellen, denn ich kam ihr zuvor.
»Sie brauchen keine Sorge zu haben. Das ist Suko, mein Freund und Kollege. Wir werden Belial gemeinsam jagen.«
Diese Antwort beruhigte sie zunächst. Doch sie dachte auch einen Schritt weiter. »Nur Belial, nicht die anderen?«
»Äh… Sie meinen Julie?«
Sina nickte. »Die auch. Aber«, fügte sie leise hinzu und sah dabei nachdenklich zur Seite. »Da ist noch ein Mädchen bei ihr gewesen. Ebenfalls blond. Etwas älter als sie. Ein Mädchen, das ich nicht kannte, denn es ist keines von unseren
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