1271 - Die Geister, die sie rief
ihr Spaß zu machen. Sie löste ihre rechte Hand von der Sessellehne und brachte die gekrümmten Finger in die Nähe des Gesichts der Alten.
Camilla hockte da, ohne sich zu rühren. Dann spürte sie plötzlich die Nägel der blonden Bestie auf ihrer Haut, scharf wie kleine Messerspitzen glitten sie darüber hinweg, und Camilla verkrampfte sich, was Justine nicht verborgen blieb.
»Hör genau zu, alte Frau. Ich frage dich jetzt, ob du Schmerzen ertragen kannst.«
»Wie? Was.«
»Kannst du Schmerzen ertragen?«
»Nein. Warum…«
»Ich will es wissen!«
»Ja, ich kann es!«
»Da bist du sicher?«
Camilla antwortete nicht. Sie verkrampfte sich. Sie wusste plötzlich, dass sie verloren hatte. All ihre Künste nutzten ihr nichts gegen diese verfluchte Person mit den blonden Haaren. Sie sah dieses glatte und schöne Gesicht über ihrem schweben, und ihr kam in den Sinn, als bestünde die Haut aus einem anderen Material. Sie sah zu glatt und auch zu künstlich aus. Aber die Blonde trug keine Maske. Es war ihr Gesicht, ihre glatte, böse Fratze.
»Nun…?«
»Ich will dich nicht sehen!« Camilla schloss die Augen. Sie sperrte sich gegen den Anblick, und genau das machte Justine wütend. Sie knurrte auf, dann griff sie zu.
Die alte Frau schrie!
Es hörte sich jämmerlich an. Sie riss dabei die Augen wieder auf. Ihr Mund bildete ein Loch, und im Rachen war ein hartes Keuchen zu hören. Der Körper sackte zusammen. Krampfhaft umklammerte sie die Lehnen des alten Sessels.
Justine wartete ab, bis sich Camilla wieder gefangen hatte. Dann legte sie zwei Finger unter das Kinn der Alten und hob den Kopf leicht an. »Nun, wie sieht es aus?«
»G… geh…«
»Kannst du Schmerzen ertragen?«
»Weg mit dir!«
»Es war erst der Anfang. Ich kann weitermachen, bis du nicht mehr weißt, ob du noch ein Mensch bist oder eine Kreatur. Es liegt nur an dir.«
Camilla schnappte nach Luft. Ihr Körper brannte. Sie atmete unregelmäßig, in den Augen schimmerten Tränen, aber sie sah trotzdem das Gesicht der anderen Frau vor sich.
Die blonde Bestie hatte ihren Mund geöffnet. Plötzlich war sie zu einer anderen Person geworden, denn in der oberen Zahnreihe schimmerten die beiden Vampirhauer, die auch der alten Hexe nicht verborgen blieben. Sie dachte nicht daran, dass es eine Täuschung sein konnte, so etwas hatte die Blonde nicht nötig. Nein, diese Zähne waren echt. Verflucht echt sogar, und Camilla wusste auch, was der Besuch einer Vampirin zu bedeuten hatte.
»Du willst mein Blut?«
»Nein, das will ich nicht.« Justine verzog den Mund. »Es ist mir zu alt. Es ist widerlich. Es ist verbraucht. Es wird mir nicht schmecken. Weg damit. Ich will von dir etwas ganz anderes, und das weißt du. Diese ersten Schmerzen waren nur ein kleiner Vorgeschmack dessen, was dir noch bevorstehen kann, wenn du nicht redest. Und eines ist sicher. Ich werde den Stab finden. Ich hole ihn mir und werde die alten Hexen beschwören und sie mir untertan machen. Ich lasse keine Niederlagen mehr zu. Ich stoße in ihr Gebiet hinein, und ich werde mich auch nicht von Assunga stoppen lassen.«
Bei Nennung des Namens war Camilla zusammengezuckt. In einer steifen Haltung blieb sie hocken.
Sie schüttelte den Kopf, dann flüsterte sie: »Die Schattenhexe wird dich zerreißen. Darauf kannst du dich verlassen. Zerreißen wird sie dich.«
»Ich wette dagegen.«
»Hör auf, Justine. Überschätze dich nicht. Sie ist stärker, viel stärker.«
»Das werden wir noch sehen.« Justine wollte nicht mehr lange diskutieren. Plötzlich lag ihre Hand im Gesicht der alten Frau. Die Finger waren gespreizt und drückten gegen die Augen. Noch empfand Camilla keine Schmerzen, aber das würde sich ändern, wenn der Druck stärker wurde.
»Wo ist der Stab?«
»Neiiiinnnn!« Ein lauter und zugleich krächzender Schrei jagte durch die Hütte.
Nur kurz, dann war er verstummt! Kein Laut durchdrang die Stille.
Der Körper der alten Frau rutschte nach links, auch der Kopf fiel zur Seite, und die blonde Bestie richtete sich wieder auf.
Sie schüttelte den Kopf, weil sie ärgerlich über sich selbst war. Sie hatte Camilla unterschätzt, und jetzt würde sie das tun, was sie nicht wollte.
Justine Cavallo verlor keine Sekunde. Sie machte sich an die Suche, aber sie wirbelte nicht wie eine Irre herum, sondern begann, nachzudenken. Sie wollte systematisch vorgehen und fragte sich, wo sie etwas verstecken würde, das nicht so schnell gefunden werden sollte. Zumindest würde sie
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