1272 - Der Geist des Zauberers
nicht das, was Sie denken, Naomi«, fiel ich ihr ins Wort. »Aber Sie sollten schon Vertrauen zu uns haben. Das ist sehr wichtig, denke ich.«
Jetzt musste sie erst mal nachdenken. Wieder fixierte sie uns. »Sie… Sie… sind nicht die, die ich mir vorstelle?«
»Nein.«
»Wer sind Sie dann?«
Es war besser, wenn wir ihr die Wahrheit sagten. So konnten wir den Panzer möglicherweise knacken. »Scotland Yard«, sagte ich leise, aber unüberhörbar. »Ja, wir sind Polizisten.«
Die Nachricht musste sie erst verdauen. Sie griff zum Schwenker und trank auch den letzten Tropfen. Dann schluckte sie noch mal und biss sich auf die Lippe.
»Was ist mit meinem Vater?«
»Was ist mit Ihnen?«, stellte ich die Gegenfrage.
»Wieso fragen Sie mich immer? Was wollen Sie wissen, verdammt noch mal? Trauen Sie mir nicht? Lassen Sie jetzt den Bullen raushängen? Was soll das alles?«
»Bitte, Naomi, beruhigen Sie sich. Ich lasse auch keinen Bullen raushängen, sondern…«
»Ist etwas mit meinem Vater?« Sie fragte jetzt ganz direkt. Auch ich war das Versteckspiel irgendwie Leid.
»Ja, Naomi. Ihr Vater lebt nicht mehr…«
»Er ist… tot?«
Ich nickte.
Erst jetzt begriff sie die ganze Tragweite dessen, was dieser letzte Dialog beinhaltet hatte. Naomi saß plötzlich so starr vor uns wie eine lebensgroße Voodoo-Puppe. Nichts mehr an ihr bewegte sich.
Die Augen bildeten dunkle Teiche, auf denen nichts zu sehen war. Sie konnte auch nichts mehr sagen und bekam den Mund nicht geschlossen. Erst nach einer Weile schüttelte sie den Kopf.
»Tot, Mr. Sinclair? Haben Sie wirklich tot gesagt?«
»Ja.«
»Wann ist es passiert?«
»Vor gut zwei Stunden.«
»Aha.« Wiedergab sie keinen weiteren Kommentar ab. Wir beobachteten sie und stellten fest, dass sie eine Gänsehaut bekam. Es konnte an der Nachricht liegen, die sie erhalten hatte, aber es musste nicht unbedingt sein. Ich war mehr denn je davon überzeugt, dass sie mit dem Gefühl der Angst in die Bar gekommen war.
»Wie ist er denn gestorben?« flüsterte sie dann.
»Bitte, nehmen Sie hin, dass er nicht mehr lebt.«
»Nein, das will ich nicht. Ich will die Wahrheit hören. Sind Sie dabei gewesen?«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Es war nur eine Frage.«
»Ja, wir waren dabei. Und es war kein Gangsterkrieg, dem er zum Opfer gefallen ist. Ihr Vater ist vor unseren Augen praktisch verblutet. Er spie das Blut aus und war tot. Nach dem Blutverlust stand sein Herz still. Es gab äußerlich keine Einflüsse, und wir haben auch nichts daran ändern können.«
»Wie kann das passieren?«
Ich wusste nicht, ob wir ihr von unserem Verdacht erzählen sollten und hob zunächst in einer neutralen Geste die Schultern.
»Sagen Sie es! Sie wissen es doch! Das sehe ich Ihnen an. Wie war das möglich?«
Bill Conolly wollte mich unterstützen, deshalb übernahm er für mich die Antwort. »Ihr Vater hat sich mit gefährlichen Dingen beschäftigt, Naomi. Er hat sich zum Voodoo hingezogen gefühlt. Bevor er starb, berichtete er von einem Zauberer, der ihn verflucht hat. Wir mussten dann erleben, wie dieser Fluch plötzlich seine Wirkung entfaltete. Es war schrecklich, aber wir konnten leider nichts tun.«
Wieder hatte Naomi nur zuhören müssen. Ihre Haltung veränderte sich dabei. Sie schien in ihrem Sessel kleiner zu werden. Auch die Gänsehaut auf ihren nackten Armen und auf ihrem Gesicht nahm an Dichte zu. Dabei zog sie die Schultern hoch und blickte neben dem Tisch ins Leere.
Ich beobachtete sie genau, und mir fiel dabei etwas auf. Im Laufe der Zeit hatte ich mir eine gewisse Menschenkenntnis zugelegt, und bei Naomi ging ich davon aus, dass dieser Zustand nicht allein daran lag, dass sie durch den Tod ihres Vaters geschockt war. Da musste noch etwas anderes dahinter stecken, und das hatte mit ihr persönlich zu tun.
Sie flüsterte ein Wort, so leise, dass ich es an ihren Lippen ablesen musste.
»Voodoo…«
Genau da setzte ich an. »Kennen Sie sich auf diesem Gebiet aus, Naomi?«
»Nein!«
Die Antwort war mir zu hastig gekommen. Ich glaubte ihr nicht, und sie wich auch meinem Blick aus. »Sie sollten Vertrauen zu uns haben«, riet ich ihr, »denn wir sind gekommen, um Ihnen zu helfen. Voodoo ist ein Gebiet, mit dem man nicht spaßen soll. Ihr Vater hat möglicherweise gewisse Dinge unterschätzt und musste dafür mit seinem Leben bezahlen. Ich möchte nicht, dass Ihnen das Gleiche passiert.«
Sie hatte sich wieder gefangen und fragte: »Wie kommen Sie darauf, dass mir das
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