1274 - Der Wolf und das Mädchen
konnte sie sich schnell bewegen, und zu den langsamen Läuferinnen hatte sie noch nie gehört. Auch in der Schule war sie eine der schnellsten Läuferinnen gewesen.
Nicht einmal drehte sie sich um, als sie durch den hellen Kellerflur lief. Sie wollte keine unnötige Zeit verlieren. Der Clown war größer als sie. Er besaß längere Beine, und auf gerader Strecke war es leicht für ihn, sie einzuholen.
Ein Keller besitzt immer eine Treppe, und so war es auch hier. Durch Zufall war sie nach links und genau in die entsprechende Richtung gelaufen, um an die Stufen zu gelangen, die sie hoch hastete und nicht normal ging.
Sie nahm immer zwei Stufen auf einmal.
Helle Stufen aus Stein. Eine helle Tür am Ende, die nicht geschlossen war. Das Mädchen rammte sie mit der rechten Schulter auf, lief dann in eine recht geräumige Diele hinein, deren Wände weiß gestrichen waren - und hatte plötzlich das Gefühl, schreien zu müssen.
Sie tat es nicht, sondern blieb trotz der Angst stehen. Wäre sie weiter nach vorn gelaufen, wäre sie womöglich gegen das große Bild geprallt, das rahmenlos an der Wand hing und einen wilden Mischmasch aus verschiedenen Farben zeigte.
Sie kannte das Bild!
Sie hatte es einige Male gesehen, denn das Bild war das, was ihre Mutter am liebsten mochte.
Es konnte nicht wahr sein, aber es entsprach den Tatsachen.
Caroline Crane befand sich im Haus ihrer Mutter…
***
Es war eine Überraschung und ein Schock für sie. Mit allem hätte sie gerechnet, nur damit nicht. Sie war so mitgenommen, dass sie schwankte.
Aber der erste Schock ging schnell vorbei. Zudem hörte sie von der Kellertreppe her die wuchtigen Tritte, deren Echos verbunden waren mit den Flüchen des Verfolgers.
Caroline fuhr herum.
Und dann hatte sie Glück. Ihr Blick fiel auf das Schloss, und sie sah, dass der Schlüssel von innen steckte. Er brauchte nur noch gedreht zu werden, dann war die Tür abgeschlossen.
Caroline rammte die Tür zu. Eine Sekunde später hatte sie den Schlüssel bereits gedreht. Wer den Keller jetzt verlassen wollte, musste erst die Tür aufbrechen, und das war nicht einfach, denn sie war sehr stabil.
Als sie einen Schritt nach hinten trat, hatte der Clown die Tür auf der anderen Seite erreicht. Er drückte die Klinke, er rüttelte daran und dann begann er zu schreien.
»Mach auf, verdammt! Es ist besser für dich! Mach die Tür auf!«
Caroline wusste selbst nicht, warum sie plötzlich lachen musste. Sie konnte nicht anders. Es musste aus ihr heraus. Sie hörte, wie der Clown gegen die Tür hämmerte. Er warf sich auch dagegen. Die Tür zitterte zwar, aber sie brach nicht auf, und das allein zählte.
Caro wusste, dass sie sich beeilen musste. Die Tür hielt nicht ewig. Irgendwann würde es der Clown schaffen, sie aufzubrechen.
Sie lief von der Tür weg dorthin, wo sich die Diele verbreiterte und der Tisch mit der großen Blumenschale darauf stand.
Auch jetzt war sie vorhanden. Bunte Sommerblumen breiteten sich aus. Einige davon dufteten. Genau dieser Tisch war es, der ihr den endgültigen Beweis dafür gab, dass sie sich im Haus ihrer Mutter befand, das noch gar nicht so alt war, denn sie hatte es erst vor gut einem Jahr bezogen. Es war ein recht geräumiger Bungalow und diente ihrer Mutter nicht nur zum Wohnen, sondern auch zum Arbeiten. Irgendwann wollte sie das Büro in der Stadt aufgeben und sich ganz hierhin zurückziehen.
Das Mädchen wunderte sich, welche Gedanken durch seinen Kopf schossen, aber Caro dachte auch daran, das Haus zu verlassen. Der Clown würde nicht aufgeben, und deshalb lief sie auf die Haustür zu, deren breite Füllung aus undurchsichtigem Glas bestand und vor der außen ein Gitter aus Schmiedeeisen angebracht worden war.
Die Tür war abgeschlossen!
Caroline ließ die Klinke so heftig los, als wäre sie heiß. Sie trat zurück, trampelte, schrie und sah sich plötzlich in der gleichen Lage wie der Clown.
Nein, nicht ganz. Bei ihr steckte der Schlüssel von innen. Sie musste ihn nur zwei Mal herumdrehen, um das Haus verlassen zu können. Mit einem langen Schritt trat sie nach vorn und freute sich über die warme Luft und den Sonnenschein, der sie umgab.
Sie rannte los. Schon nach fünf Schritten stand sie auf einer mit rötlichen Steinen belegten Straße.
Das Mädchen musste sich entscheiden, in welche Richtung es laufen sollte.
Der Zufall kam ihr zu Hilfe. Sie sah wie ein Wagen um die Ecke bog. Er musste eine Garage verlassen haben und rollte langsam in ihre
Weitere Kostenlose Bücher