1277 - Nachricht aus Gruelfin
dazu kam, war ihr Bewußtsein schon überlagert und ihr Wille gelähmt.
Allerdings wurden ihr Bewußtsein nicht gänzlich ausgeschaltet, sondern nur zurückgedrängt, daß ihre Handlungsfreiheit eingeschränkt war.
Und im nächsten Moment meldete sich das andere Bewußtsein.
„Fürchte dich nicht, Siralia!" wisperte es ihr zu. „Ich bin kein Irregulärer, sondern der frühere Ganjo Ovaron."
Siralia durchfuhr es heiß.
Sie war keineswegs leichtgläubig. Normalerweise hätte sie die Versicherungen jedes Pedotransferers, der sie ohne ihr Einverständnis „besetzte", angezweifelt und Schlimmes geargwöhnt.
In diesem Falle aber glaubte sie dem Pedotransferer sofort - und das nicht allein deswegen, weil er sich als Ovaron vorgestellt hatte, sondern vor allem deshalb, weil sie für ein solches Ereignis durch die Berichte ihres Vaters über seine Visionen sensibilisiert worden war.
„Ich spüre, daß du mir vertraust", flüsterte Ovaron in ihrem Bewußtsein. „Darum kann ich es wagen, deinen Körper an einen anderen Ort zu steuern, ohne daß du dich fürchtest. Es ist notwendig, denn unsere Kommunikation wird ergiebiger sein, wenn du laut sprichst. Du hast keine Übung in Pedokontakten, wie ich merke."
Nicht in solchen! dachte sie, in der Hoffnung, Ovaron würde sie verstehen. Mit meinem Vater und meiner besten Freundin habe ich zwar Pedotransferierungen geübt, aber ohne mentale Kommunikation. Ansonsten kommt man einfach nicht dazu, wenn man nur von Cappins umgeben ist.
„Warte noch!" wisperte Ovaron ihr zu. „Du bist völlig ungeübt in mentaler Kommunikation. Ich höre dich, aber ich verstehe dich nicht. Warte also, bis wir allein sind!
Er gab ihrem Bewußtsein einen Teil der Kontrolle über die Sinnesorgane ihres Körpers zurück. Sie sah, daß sie sich bereits nicht mehr im Hörsaal befand, sondern über einen Plattenweg durch den Park der Tausend Seelen schritt, der an der Stelle errichtet worden war, wo eine Nukleonladung ihren Urahn Keltraton samt vielen Tausenden Cappins vernichtet hatte. Weit im Hintergrund ragte über den höchsten Baumwipfeln der Obelisk auf, der aus den Überresten des goldenen Palastdaches gegossen worden war. Der Palast selbst war nicht wiederaufgebaut worden.
Der Meister des Ganjo-Kults und sein Oberster Kurator Kynovaron (Siralias Vater) residierten in einem bescheideneren Bauwerk neben dem Ovaron-Tempel.
Ohne das Dazutun ihres Bewußtseins ging Siralia bis zu einem kleinen Pavillon am Ufer eines Teiches. Der Pavillon war leer. Sie zog die Tür hinter sich zu und setzte sich auf einen der sechs Sessel, die mit den Sitzflächen zu den sechs semitransparenten Wänden in der Mitte des Pavillons standen.
„Hier kannst du laut sprechen, ohne Verdacht zu erregen, Siralia", erklärte Ovaron. „Um es vorwegzunehmen, ich weiß, daß du die Tochter von Kynovaron, dem Sohn von Kendamonh und Delshura und dem Enkel von Keltraton und Jertaime bist."
„Ich bin die Tochter von Wagvaneda und Kendamonh!" korrigierte Siralia ihn verärgert.
„Natürlich!" erklärte Ovaron. „Entschuldige, bitte! Ich vergesse manchmal, daß du in einer Zeit lebst, in der die Frauen besonders leidenschaftlich auf ihrer Gleichberechtigung gegenüber den Männern bestehen. Übrigens, sie hatten die volle Gleichberechtigung schon einmal. Sie bröckelte nur während der vielen schweren Kriegswirren etwas ab."
„Sie wird uns neuerdings wieder streitig gemacht - und zwar von vielen Vertretern des neuen Ganjo-Kults, die ein reines Patriarchat herstellen wollen", stellte Siralia fest.
„Dein Vater ist Oberster Kurator dieses Kults", erwiderte Ovaron. „Kann er nichts gegen diese verhängnisvolle Entwicklung unternehmen?"
„Dann müßte er offen als Kynovaron auftreten", sagte Siralia. „Das Volk würde ihm sicher begeistert zujubeln. Aber dann käme auch heraus, daß er identisch ist mit dem früheren König Dawidosch der Schwarzen Freibeuter. Der Meister des Ovaron-Kultes und die meisten seiner Adepten würden das ausnutzen, um ihn zu Fall zu bringen und damit ihren ärgsten Gegner eines Patriarchats auszuschalten."
„Er muß also seine wahre Identität immer noch geheim halten", resümierte der ehemalige Ganjo. „Das ist schade. Hat ihn eigentlich Nameire niemals durchschaut?"
„Nein", antwortete Siralia. „Ihr Unterbewußtsein würde es wahrscheinlich verhindern, wenn sie in Gefahr geriete, die wahre Identität des Kurators aufzudecken. Es hat sich damals schon dagegen gesträubt, als mein
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