1284 - Am Paß der Icana
davon.
Huasqa stand starr. Sein Gesicht hatte eine unnatürlich graue Farbe angenommen, und ein Schleier zog sich über die Pupillen.
„Jetzt nicht mehr", sagte er leise, fast flüsternd. „Die Panieli sind uns zuvorgekommen."
*
Wenige Minuten später schämte er sich seines Kleinmuts. Was war verloren? Noch nichts. Es konnte sich höchstens um eine kleine Vorhut der Panieli handeln, die in den Paß Sacsamarca eingedrungen war. Belisars Hauptmacht hinkte wahrscheinlich weit hinterher.
Er rückte vorsichtig bis zum Eingang des Passes vor. Der Paß ließ sich von dort aus nicht zur Gänze überblicken. Er zog sich in mehreren Windungen durch die rechts und links himmelhoch aufragenden Felsmassen der Berghöhe. Von Belisars Vorhut war keine Spur. Huasqa gebot den Kriegern, sich Verstecke zu suchen und auszuruhen. Einen der drei Scouts schickte er das Tal hinab, damit er Manku meldete, wie die Lage hier oben war, und ihn zur Eile antrieb. Die beiden anderen fragte er: „Wer kennt sich hier gut aus und hat noch genügend Kraft, daß er mich in die Wand hinaufführen kann?"
Sie waren beide ortskundig und willig. Er wählte Hoayna, der den weniger erschöpften Eindruck machte. Als sie aufbrachen, war es auch auf dem Grund des Tales schon Tag geworden. Den Weg, den Hoayna ihn führte, wäre Huasqa aus freien Stücken nie gegangen. Sie krochen in der Felswand aufwärts, und mitunter war der Steig so schmal, daß die beiden Krieger nur mit Mühe Platz fanden, einen Fuß vor den ändern zu setzen.
Huasqa klammerte sich an den Felsen zu seiner Rechten fest und vermied es, in die Tiefe zu sehen. Eine Stunde lang ging es so vorwärts. Sie umrundeten die erste Krümmung des Passes. Später wurde der Weg leichter. Auf einem breiten Felsband, gut und gern zweihundert Meter über der Sohle des Paßeinschnitts, schritten sie entlang.
Der Geruch von brennendem Holz stieg Huasqa in die Nase. Gegen das Licht der Sonne sah er bläulichen Qualm, der hinter der nächsten Ecke der, Felswand hervordriftete. Hier oben, weit über dem Niveau der Wolken, die ihren Regen auf das Waldland der Ebene fallen ließen, wuchsen nur noch krüppelige Bäume. Sie fristeten ein karges Dasein auf der Sohle des Tales und hatten sich hier und da in den Felsspalten der Bergwände eingenistet Immerhin mangelte es den Panieli nicht an Brennholz. Huasqa sah die qualmenden Überreste ihres Lagerfeuers, nachdem er hinter Hoayna her um die Felsnase gekrochen war.
Sie legten sich flach auf den Bauch, um ungestört beobachten zu können. Die Panieli, acht an der Zahl, hatten es sich auf groben, braunen Decken bequem gemacht und schliefen fest. Ihre Reittiere - Huasqa erinnerte sich jetzt: Pferde nannten sie sie - waren an Bäumen festgebunden und knabberten träge am trockenen Laubwerk. Leise sagte Hoayna: „Wenn ich rasch zurückeilte, könnten unsere Krieger hier sein, bevor die Panieli-Kundschafter aufwachen."
Derselbe Gedanke war auch Huasqa schon durch den Sinn gegangen.
Aber jetzt zögerte er. Gewiß, es war leicht, Belisars Voraustrupp zu überwältigen. Aber was gewann er damit? Bevor Belisar in den Paß einzog, würde er sich vergewissern, daß seine Kundschafter an Ort und Stelle waren. Fand er sie nicht, fand er obendrein sogar noch Spuren eines Kampfes, würde er seine Taktik von Grund auf ändern, womöglich das Gebirge umgehen.
Huasqa erschrak. Er war seinem Auftrag nicht treu. Hatte Ebhinor ihm nicht befohlen, den Paß zu besetzen und zu halten? Bot sich ihm dazu nicht die beste Möglichkeit - hier, in diesem Augenblick? Warum zögerte er?
Um der größeren Aufgabe willen, sagte er sich. Den Paß zu halten, bedeutete nichts, wenn die Gefahr bestand, daß die Panieli ihre Pläne umwarfen. Es ging darum, Belisar vernichtend zu schlagen.
„Nein", sagte Huasqa, „so machen wir es nicht."
Hoayna begriff nicht, warum Huasqa eine so vorzügliche Gelegenheit ungenützt lassen wollte. Aber er sagte nichts. Es ziemte dem einfachen Waffenträger nicht, die Entscheidung des Anführers in Frage zu stellen.
Inzwischen hatte Huasqa sich umgesehen. Sein Blick war den gegenüberliegenden, den nördlichen Hang des Paßeinschnitts entlanggeglitten. Dort stieg der Fels nicht so steil an.
Er bildete eine langgestreckte, mit Steinbrocken übersäte Halde.
„Wo ist die Icana?" wollte Huasqa wissen. „Siehst du ihre Spur?"
„Sie hat dort drüben ihr Lager, dicht unterhalb des Kammes", antwortete Hoayna. „Siehst du den Eingang der Höhle und
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