1288 - Das unheimliche Mädchen
Es eilte ja nicht.«
Das akzeptierte er. »Ist denn mit Gabriela alles in Ordnung?«
»Keine Probleme«, erklärte ich.
»Dann bin ich froh. Aber Sie rufen wieder an, wenn Sie… äh… den Fall gelöst haben?«
»Das werde ich. Da brauchen Sie auch keine Sorgen zu haben.«
»Da bin ich beruhigt.«
Ich legte auf und drehte mich um. Gabriela stand in meiner Nähe. Die Oberin hielt sich am Fenster auf. Sie drehte mir den Rücken zu und verschränkte die Arme vor der Brust, als sie sich umdrehte.
»Darf ich Sie direkt fragen, was der tiefere Grund ist, weshalb Sie zu uns gekommen sind? Ich meine, ich habe die Bitte von oben bekommen und kann mich ihr nicht entgegenstellen. Aber was wollen Sie genau hier?«
»Gabriela Monti braucht etwas Ruhe.«
Die Oberin hob die Augenbrauen. »Ich will mich nicht einmischen, aber ich finde es schon ungewöhnlich, wenn hier zwei Menschen erscheinen, von denen nur eine Person Ruhe nötig hat.« Sie lächelte etwas mokant. »Dazu noch erscheint ein Mann. Das ist eigentlich auch nicht üblich, wenn ich das mal so sagen darf.«
»Ich werde auf sie Acht geben. Sie hat schwere Zeiten hinter sich. Vielleicht gelingt es mir, ihr wieder etwas Lebensmut zurückzugeben, um sie von ihrem Schicksal zu befreien.«
»Das hört sich nicht eben gut an.«
»Jeder hat seine Probleme.«
»Ist sie denn gläubig?«
Mit dieser Frage hatte ich nicht gerechnet. »Willst du antworten, Gabriela?«
Bisher hatte sie mit gesenktem Kopf gestanden. Jetzt hob sie ihn an und schaute in das Gesicht der Oberin. »Ich glaube an vieles, Schwester. Unter anderem auch an IHN.«
Carina, die Oberin, enthielt sich eines Kommentars. Gefallen hatte ihr die Antwort nicht, das sah ich ihr an. Sie wechselte das Thema und sprach davon, dass sie uns die Zimmer zeigen wollte.
»Gern.«
Die Oberin verließ den Raum vor uns. Sehr bald gingen wir eine Steintreppe hoch in die erste Etage.
Hier lagen die Zimmer der Schwestern. In einem anderen Bereich befanden sich die Gästezimmer.
Der Flur war hier nur sehr kurz. Es gab drei Türen, wobei sich zwei gegenüberlagen.
»Sie können wählen. Rechts oder links.«
Gabriela nahm das rechte Zimmer, ich das andere. Die Oberin verabschiedete sich und erklärte uns dann noch, dass die dritte Tür zur Toilette führte.
Ich begleitete Gabriela in ihr Zimmer. Sie fror und hatte die Schultern in die Höhe gezogen.
»Ist dir kalt?«
»Nicht nur das, John. Ich mag die Umgebung nicht. Ich… ich… habe Angst vor ihr.«
»Warum? Es ist alles normal.« Damit meinte ich das nicht sehr große Zimmer mit seiner kargen Einrichtung. Das Bett, der schmale Schrank, der viereckige Tisch und der Stuhl davor.
»Wären jetzt noch Gitter vor dem Fenster, würde ich denken, dass ich wieder in der Zelle bin.« Sie ging hin und schaute hinaus. »Da liegt der Teich«, flüsterte sie. »Er sieht so dunkel aus, obwohl noch immer die Sonne scheint.«
Ich blickte hin und gab ihr Recht. Es war noch etwas anderes zu sehen, das mir bisher nicht aufgefallen war. An einem Ufer lag ein rostrot gestrichener Kahn. Das Tau hatte man um einen krummen Baumstamm gewickelt. Im Boot saß eine Nonne. Sie hatte die Beine angezogen. Ein Buch lag auf ihren Knien. Sie las darin, während sie von den Strahlen der Sonne gewärmt wurde.
»Ist doch alles friedlich«, sagte ich.
»Ja, nach außen hin.«
»Und was stört dich?«
»Ich weiß es nicht genau, John. Ich fühle mich innerlich so verdammt unruhig.«
»Kannst du mir den Grund nennen?«
»Nein, nicht direkt.«
»Und indirekt?«
Sie musste lachen. »Ich weiß es nicht. Ich fühle etwas, aber ich kann dir nicht sagen, was es ist.«
»Hast du einen Vergleich mit der Gefängniszelle?«
»Da war es ähnlich.«
»Das wird sich geben. Du brauchst dich nicht mehr zu fürchten. Es gibt die Feinde nicht. Das musst du mir glauben. Ich bin hier, und ich werde auf dich achten.«
»Danke.«
Ich wollte in mein Zimmer, erklärte ihr das und sagte dann: »Wir werden danach etwas frische Luft schnappen und einen Spaziergang durch den Klostergarten machen. Ist das okay für dich?«
»Ich habe nichts dagegen.«
»Gut.«
Ich war bereits an der Tür, als mich ihre Stimme einholte. »John, bitte.«
Ich drehte mich. »Ja, was ist?«
»Lass mich nicht zu lange allein.«
»Keine Sorge, ich beeile mich.«
Die Sorgen machte ich mir, als ich mein Zimmer betrat. Es glich dem anderen aufs Haar. Nur schaute ich nicht direkt auf den See, sondern in einen Garten hinein, in dem
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