13 alte Esel
und her zu wuseln. Daß ein so pflichteifriger und untadeliger Mensch wie Waldemar sich das von einer so ungezogenen Göre gefallen lassen mußte, war empörend, und sie würde mit Frau Krapp darüber sprechen. Freilich — nicht sofort. Esel waren kein geeignetes Gesprächsthema bei der Chefin. Sie mußte alles verhindern, was Waldemar Schwierigkeiten machen konnte.
Entsagungsvoll seufzend nahm sie den Umschlag ab. Der Bluterguß hatte mittlerweile den Schenkel düsterrot gefärbt; über Violett und Grün lief er an den Rändern in ein ekliges Gelb aus. Sie konnte sich bei diesem Anblick weder einer prickelnden Gänsehaut noch des Gefühls grenzenloser Hochachtung vor sich selbst erwehren. Daß ihr nicht schlecht wurde dabei! Aber Krankenpflege hatte sie nun mal gelernt, und was man gelernt hat, hat man fürs Leben. Da hatte die Chefin wieder recht. Sie wickelte befriedigt drauflos und hatte außer Änne und dem Patienten im Vollgefühl ihrer Wichtigkeit bald auch Uwe vergessen. Erst als er unter Husten und Spucken zu heulen begann, weil die Salbe so scheußlich schmeckte, die er sich in einem dicken Klumpen aus dem Topf in den Mund geschmiert hatte, fiel das bewunderte Idealbild »Unsere tüchtige unersetzliche Monika« mal wieder zu einem farblosen Häufchen Asche zusammen.
Immer kam einem auch was dazwischen. Sie hätte ebenfalls heulen können. Kinderschwester und Pflegerin und rechte Hand in einem solchen Heim — das ging entschieden über Menschenmaß hinaus. Zumindest über Monikamaß.
Und nahm einem hier auch nur einmal einer was ab? Malwine zum Beispiel könnte sich gut mal ein bißchen um Uwe kümmern. »Malwine...!«
Der zornige Ruf erreichte Malwine nicht; hingegen veranlaßte er Frau Martha, die im Keller eine Partie frisch eingekochter Vierfruchtmarmelade etikettierte, hinaufzugehen. Sie erinnerte sich flüchtig, Malwine bei der Pumpe gesehen zu haben. Stirnrunzelnd schob sie die letzten Gläser ins Regal und wischte sich die Hände an der Schürze ab. Ein ungewöhnlich lästiges Kind, dachte sie. Aus diesem Rührmichnichtan ein nützliches Glied der menschlichen Ge- Seilschaft zu machen zerrte selbst an ihren starken Nerven. So was von Zerfahrenheit, Zimperlichkeit, Unzuverlässigkeit und Tränenseligkeit begegnete einem Gott sei Dank nur einmal im Leben. Das Kind war schwächlich und mußte aufgepäppelt werden — schön und gut. Aber Eier, Honig, Schwarzbrot, Gemüse, Obst, gute, fingerdick gestrichene Margarine und viel Milch schlugen natürlich nicht an, wenn man sie stehen ließ. Entweder vergaß sie überhaupt zu essen, oder sie würgte, als setze man ihr Mehlwürmer vor, oder sie erbrach sich bei der geringsten Erregung. Na, und daß dieses Kind mal »nicht erregt war, hatte sie noch nie erlebt! Von der frischen Luft, die Dr. Kösters immer als letzten Ausweg empfahl, holte sie sich eine »Erkältung nach der anderen. Diese Doktoren machten es sich leicht. Nein, bei Malwine lag es einfach daran, daß sie nicht mittat. Keinen Mumm hatte, gar nicht gesund werden wollte. Im Grund ein völlig unnützes Wesen. Aus Menschen, die nicht selber mitarbeiteten, keinen inneren Drang nach vorwärts hatten, war eben nichts zu machen. Paradebeispiel dafür waren ihr Vater und ihr Mann. Vielleicht ganz gute Menschen, jedoch ohne Mumm.
Doch bei den Kindern trug sie die Verantwortung. Und sie meinte es so gut mit ihnen! Wer würde an ihrer Stelle wohl mitten aus der Arbeit heraus hinter einem achtjährigen Mädchen herlaufen, das vermutlich dösend neben der Pumpe im nassen Sand saß und auf keinen Ruf hörte?
Sie schloß die Tür zum Vorratskeller und eilte, in unwillige Gedanken verloren , die steile, leiterartige Treppe hinauf, wobei sie sich schon gewohnheitsmäßig über das wacklige Geländer ärgerte. Es war dunkel. Die Tür am oberen Ende war halb zugefallen, und im Spalt lehnte ein unförmiger Gegenstand. Sie blähte die Nasenflügel: Wonach roch es hier bloß? Hundertmal hatte sie Monika schon gesagt, sie solle das ganze Krankenzeug sofort weggießen und die Wäsche immer gleich kochen. Gerüche waren ordinär. In einem gutgeführten Heim roch es höchstens nach Bohnerwachs. Das hier aber roch widerlich medizinisch, süßlich-streng, jodartig. Es machte die Luft dick, und man hatte das Empfinden, nicht allein zu sein. Es war aufdringlich und... »Uuuh!« Sie fuhr, jäh aus den Gedanken gerissen, angewidert zurück. Hinter ihr krachte das Geländer, gab nach. Hätte sie nicht den Stiel der von
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