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13 alte Esel

13 alte Esel

Titel: 13 alte Esel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Bruns
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das Leben ein Zuckerlecken. Für ihre Kinder hier, die sich mal selbst durchs Leben schlagen mußten, galt das alles nicht. Was wußten diese Menschen vom Elend? Keiner von ihnen hatte Lumpen sortieren, hungern und frieren müssen, weil der eigene Vater seine Zeit vertat mit unsinnigen Phantastereien, mit »Erfindungen«, die niemandem nützten. Sie hatte böse immer weiter getrunken, bis durch den Nebel eine Stimme an ihr Ohr gedrungen war: »Meinen Sie nicht auch, Frau Martha ?«
    Sie hörte sich antworten, hörte es jetzt, mitten in der Nacht, wieder: »Nein !«
    Ganz still war es da geworden, und sie hörte sich triumphierend in die Stille hinein sagen: »Kinder müssen zu Nützlichem erzogen werden. Daran müssen sie sich früh gewöhnen. Nichts Unnützes!«
    Sie war aufgestanden, hatte sich mit der Hand an der Tischkante gehalten, weil der schwere Wein so an ihr zog. Eine wilde Freude, einmal zu sagen, was sie dachte, hatte sie erfüllt.
    »Zu Nützlichem !« hatte sie geschrien.
    Oder hatte sie es gar nicht geschrien?
    Sie wußte nicht mehr viel sonst. Josef hatte gemurmelt: »Komm, Martha, du bist müde. Ich helfe dir hinein. Der Tag war so anstrengend .« Und Schwester Monika, die immer mit diesem Müller gealbert hatte, stand neben ihr. Sie war müde gewesen, so bleiern müde.
    Jetzt, als sie wach lag, war der leichte Rausch fort, und mit Bestürzung dachte sie an diesen beschämenden Abschluß eines beschämenden Tages. Man hatte sie zu Bett gebracht! Eine betrunkene Frau! Und eine — unfähige Frau.
    Stöhnend griff sie sich an den Kopf, sah mit aufgerissenen Augen ins Dunkel. Alles war schief gegangen, die Gäste waren halb hungrig geblieben, das Haus starrte vor Schmutz von den unabgeputzten Füßen, im Badezimmer lagen Scherben, die Kinder hatten sich schaurig benommen, die Leute hatten sich über sie lustig gemacht, sogar der Pfarrer hatte ihre Sprüche verhöhnt. Hohn! Und Herr Ess — vor seinen Augen war sie betrunken hineingeführt worden! Morgen...
    Sie wurde blaß. Sie spürte, wie sie erbleichte: Was würde er morgen sagen? Ihr kündigen? Wegen erwiesener Unfähigkeit? Kalte Angst sprang ihr in den Nacken: Was dann? Sie zog die Bettdecke eng um sich, vergrub den Kopf darin, um die Bilder nicht zu sehen, die auf sie zustürzten: ihr freundliches Zimmer mit den blanken Fenstern und dem gewachsten Boden, die unabhängige Stellung, die sie sich so hart erarbeitet hatte, das hübsche große Haus, das sie doch immer größer machen wollte. Angst. Ihr ganzes Leben lang hatte sie Angst gehabt, zurückzusinken ins Elend wie ihr Vater. Diese Angst hatte sie vorwärtsgetrieben, von Posten zu Posten, hatte sie rastlos arbeiten lassen; nur nicht auf hören, nicht Stillstehen — solange es vorwärtsgeht, kann es nicht zurückgehen. Bei ihrer Heirat hatte die Angst kurz ausgesetzt, bis sie allzu bald nur erkennen mußte, daß ihr Mann keine Sicherheit bot, daß er nicht einmal versuchte, sich selbst und sie zu sichern. Und jetzt bot er weniger Sicherheit als je, war er wirklich zurückgesunken, ein Landstreicher geworden, und sie...
    Sie preßte die Hand vor den Mund, um ein Stöhnen zu unterdrücken. Wie hatte sie sich nur gestern abend so benehmen können? Sie, die sich so zusammenriß, soviel Rücksichten auf ihre Vorgesetzten nahm, sich den Kindern gegenüber nicht gehen ließ, stets und ständig äußerste Selbstbeherrschung übte? Und dann solch eine Szene! Weil sie betrunken gewesen war. Nein, nicht deshalb — ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt durch die Ereignisse der letzten Woche.
    In all ihrem Elend verwunderte es sie beinahe, daß es nur eine einzige Woche war, die eine lebenslang geübte Haltung so jämmerlich erschüttert hatte — eine Woche Zeit und dreizehn alte Esel.
    Sie war wieder eingeschlafen, denn als der Traum sie zum zweitenmal auffahren ließ, war es fast Zeit zum Aufstehen. Jetzt wußte sie, wovon sie geträumt hatte und wovon ihr so über die Maßen elend zumute war, elender als von der Angst um ihren Posten und dem hilflosen Zorn über den verpfuschten Tag. Sie hatte im Traum Malwine gesehen: wie sie erstarrte in der grausamen Erkenntnis ihrer Häßlichkeit, wie sie verzweifelt versuchte, sich davon auszuschließen, versuchte, nur den Esel häßlich zu sehen, dessen Häßlichkeit sie vorher übersehen hatte wie ihre eigene; wie sie schlug und schlug, um die unfaßliche Erkenntnis wegzuschlagen, totzuschlagen; wie sie schließlich einer anderen in die weitgeöffneten Arme

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