13 kleine Friesenmorde
deutscher Sprache mit der Entschuldigung, dass sie noch an einem Vortrag arbeiten müsse.
Warfner sagte scherzhaft: »Mensch, ist die vertrocknet!«
Die Studentin stand auf. Sie nahm Taden an die Hand und sagte: »Sie ist eine Wissenschaftlerin. Sie spricht über ?Per Gynt? an der Uni in Hamburg.« Dann zog sie den Fernfahrer auf die Tanzfläche.
Warfner griff zum Bier, das der kleine philippinische Steward mit breitem Lächeln auf den Tisch gestellt hatte. »Prost, Per Gynt!«, sagte er, und ihm fiel ein, dass er im Gudbrandtal schon so oft seinen Lastzug über die »Per-Gynt-Straße« durch das enge Tal entlang der Rauma gesteuert hatte.
Iris Melchior sorgte an diesem Abend für Stimmung. Sie war fröhlich und verstand sich gut mit Taden. Als die Band die bunten Strahler ausschaltete und ihre Instrumente einpackte, nahm Taden, bereits angeheitert, Iris Melchior an die Hand und führte sie an die Bar.
»Tschüs«, sagte Warfner und verließ die Disko. Er dachte an seinen Lastzug, den er als Verantwortlicher morgen nach Hause steuern musste.
Immun gegen die Seekrankheit, suchte er vor dem Schlafengehen die Toiletten auf. Er sah einen jungen Mann, der mit stumpfem Blick wie ein Roboter ohne Gefühle die Kotztüten der Passagiere einsammelte. DerMatrose schob einen Karren, der halb gefüllt war und bestialisch stank. Auf dem breiten Rücken erkannte Warfner die Wildgans, und freundlich lallte er: »Scheiß Arbeit.«
Als der junge Mann ihn mit offenem Mund und einem bewegungslosen Auge fragend ansah, lief ihm eine Gänsehaut über den Rücken.
Fräulein Dr. Brittö schaute auf das leere Bett ihrer Kabinengefährtin. Die Luft in dem kleinen Raum kam ihr stickig vor. Das Vibrieren der fensterlosen Kunststoffwände drang wie eine Bedrohung in ihre Ohren. Ihr Blick fiel auf den orangefarbenen Rucksack der Studentin. Sie sprang auf.
»Nein!«, schrie sie. Sie hielt die Enge der Kabine nicht mehr aus. Ein starkes Schlingern der »Polar-Road Star« riss sie fast von den dünnen Beinen. Sie schaute auf ihre Armbanduhr und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Es war längst nach Mitternacht. Bluse und Rock warf sie über den Hocker, streifte sich Jeans über und zog ihren Pullover über den platten Oberkörper. Dann fuhr sie mit dem Kamm durch das einfache Haar.
»Iris Melchior!«, schrie sie hysterisch und stürzte aus der Kabine.
Für Sekunden blickte sie in den leeren Gang. Sie war völlig außer sich. Endlos kam ihr der schmale lange Kabinenflur vor. Gelegentlich, wenn sich die »Polar- Road Star« aufbäumte, fiel sie gegen die Seitenwände.
Fräulein Dr. Brittö durchlief eine Hölle der Einsamkeit.
Vor der Disko hingen schwere rote Vorhänge. Sierannte weiter. Schweiß troff in ihr spitzes Gesicht. Im schwach beleuchteten Kabinengang des B-Decks sah sie einen Mann, der vor einem Karren stand, auf dem Kotztüten eine Pyramide bildeten. Der vorgestreckte Hals der Wildgans auf seinem breiten Männerrücken wies ihn als Mannschaftsmitglied aus.
Sie blieb mit rasch gehendem Atem stehen. Ihre Blicke pendelten zwischen Tüten und dem eckigen Gesicht des Mannes, der sich ihr schwerfällig zuwandte, hin und her. Der stumpfe Gesichtsausdruck, der breite offene Mund, das starre trübe Auge raubten ihr die Kräfte.
Fräulein Dr. Brittö stemmte sich an die Wand, und als sie sah, wie der Seemann mit einem Taschentuch Blut, das über seinen vorgestreckten Daumen floss, behutsam abtupfte, schrie sie wie irr. Hell schallte der Schrei in den Gang. Dann glitt sie in einer Ohnmacht auf den Boden.
Der im Halbdunkel liegende Kabinengang füllte sich mit Leben. Unausgeschlafene Passagiere rissen Türen auf. In der matten Nachtbeleuchtung lag das Fräulein Doktor auf dem Teppichboden und kullerte ein wenig seitlich, als die »Polar-Road Star« auf einen Wellenkamm stieg.
Männer in Nachtbekleidung trieb es mutig in die Szene, während die Frauen den Schrei von Fräulein Dr. Brittö vielseitig weitergaben.
Der junge Seemann stierte mit ratlosem Gesicht auf den Boden, wobei seine wulstigen Lippen ein »O« formten. Er versuchte, mit seinem Taschentuch den Blutfluss zu stoppen.
Ein Offizier der Nachtwache eilte zum Geschehen.
Fräulein Dr. Brittö, die aus der Ohnmacht auftauchteund dösig in die Runde blickte, gab in gehackten Sätzen die Vermisstenanzeige durch. »Iris Melchior, langes Haar, gute Figur, schön!«, stotterte sie. Da gab es keinen Anlass zu debattieren. Der Schiffsoffizier kümmerte sich um die Suche
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