13 kleine Friesenmorde
»Ihr Sohn war auf Norwegentour mit seinem LKW. Während der Rückfahrt hat sich auf dem Schiff etwas ereignet. Wir suchen Zeugen. Das ist alles.«
In das Gesicht der alten Frau kehrte Ruhe ein. Dann hörten sie die Geräusche eines Autos. Wenig später drang das Hallen von Schritten vom langer Flur zu ihnen.
»Mein Sohn«, sagte Frau Taden und erhob sich.
»Bleiben Sie bitte sitzen«, sagte Knutsen, »wir möchten ohne Vorankündigung mit ihm sprechen. Unseren Wagen hat er ja bereits gesehen.«
Die Tür ging auf und Jörn Taden betrat das Zimmer.
»Besuch?«, fragte er und drückte den Lichtschalter. Knutsen machte auf Anhieb in dem jungen Gesicht die typischen Merkmale vieler Fernfahrer aus, die ihren Freiheitsdrang mit den Abenteuern der Landstraßen kompensierten.
»Herr Taden, setzen Sie sich bitte zu uns«, sagte Nordmann. »Uns führen nur ein paar Fragen zu Ihnen. Sie waren rein zufällig an Bord der ?Polar-Road Star?, als das Unglück passierte. Wir suchen Zeugen.«
Jörn Taden, müde vom Dienst, sah sich ratlos um. »Davon weiß ich nichts«, sagte er.
»Wir sind von der Kripo«, sagte Knutsen und hielt seine Marke gegen das Licht der matten Deckenlampe.
»Was uns zu Ihnen führt, um es kurz zu machen, ist die Suche nach Leuten, die an Bord Kontakt mit einer jungen Dame hatten«, sagte Nordmann. Er entnahm seiner Tasche die Bilderserie, die Iris Melchior zusammengesunken auf kaltem Schiffsstahl zeigte, und reichte sie dem Fernfahrer. »Haben Sie während der Überfahrt dieses Mädchen gesehen?«
Jörn Taden starrte auf das erste Bild. Dann schoben seine zittrigen Hände die Fotos zur Seite. Sein Gesicht war farblos. Er rutschte unruhig hin und her.
»Is wat, min Jung?«, fragte die Alte irritiert.
Aber Jörn hörte nicht die Mutter. Zu sehr hasteten seine Gedanken in die Nacht, in der das Islandtief tobte und er mit Iris Melchior nach dem Takt der Band getanzt hatte.
»Wir haben mit ihr gefeiert!«, sagte Jörn Taden und blickte ungläubig auf Knutsen.
Die Nachricht vom Tode der jungen Frau schien ihn schwer getroffen zu haben.
»Wer ist wir?«, fragte Nordmann.
Jörn langte zittrig zur Zigarette.
»Mein Chef Warfner und ich. Ich bin der Beifahrer.«
»Wann haben Sie das Fräulein zuletzt gesehen?«
Taden überlegte. »Warfner hatte genug. Er hatte sich in die Kabine verzogen. Ich war mit Iris noch in der Bar. Wir haben Brüderschaft getrunken.«
»Das benötigen wir genauer«, sagte Nordmann. »Sie haben das Mädchen geküsst?«
»Nein!«, sagte Jörn ärgerlich. »Sie hat mich geküsst. Sagen wir du, mein kleiner Straßenkapitän, hat sie gesagt.« Jörn Taden blickte die Beamten mit traurigen Augen an und hoffte, dass sie ihm die Geschichte abkaufen würden.
»Und dann?«, fragte Knutsen.
In das Gesicht des Fernfahrers trat Röte. »Sie lief raus, und ich dachte, sie müsste mal. Wir hatten ja viel getrunken. Aber sie ist nicht wiedergekommen.«
»Wie spät war es, als Iris Melchior Sie verließ?«, fragte Nordmann.
Jörn Taden überlegte nicht lange. Zu oft hatte er auf einsamen Straßen die Bilder vor sich gesehen, wenn er seinen 18 Meter langen Zug steuerte. »Kurz vor oder nach Mitternacht«, sagte er.
»Haben Sie noch an Deck nach ihr gesucht?«, fragte Knutsen.
Der Fernfahrer winkte ab. »Ich war dun. Ich hätte mich bei dem Geschaukel nicht auf das Deck gewagt, und sie in der Kabine zu besuchen bei der
Bewachung!«,sagte er und grinste, als hätte er alles vergessen.
»Wieso?«, fragte Nordmann. »Hatte Iris Melchior eine Bewachung?«
Taden antwortete: »Da war dieses Fräulein Doktor. Eine platte Gelehrte, vornehm in Bluse und Rock, die sah aus wie eine strenge Lehrerin. Sie musste einen Vortrag halten über einen, warten Sie, wie heißt die Straße in Norwegen, Peer Gynt oder so. Sie hatten zusammen eine Kabine.«
»Herr Taden, Sie haben also in der Bar gewartet und Iris Melchior nicht mehr gesehen?«
»So war es«, sagte Taden. »Da es sehr spät war, nahm ich an, dass sie sich zurückgezogen hatte. Am Morgen habe ich auf dem Schiff nach ihr gesucht.«
Die Mutter hatte die ganze Zeit mit zuckenden Augen zugehört. Ihr Gesicht zeigte das dunkle Rot des Bluthochdrucks, als sie fragte: »Wie kommen Sie auf meinen Sohn?«
Knutsen blickte Nordmann an, der die Schultern hob.
»Frau Taden, unsere Computeranalyse der Passagiere wies Ihren Sohn aus, weil er vor Jahren etwas mit einem Mädchen hatte.«
Jörn Taden fuhr hoch. »Sie wollen doch damit nicht sagen, dass
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