13 kleine Friesenmorde
Hand und führte sie an das Maul des Pferdes. Das Tier schwabbte sie mit entblößten Zähnen von seiner Hand.
»Der brave Kerl hat einen Schock erlitten«, sagte der Tierarzt. »Und ob Sie mir das glauben oder nicht, er trauert um seinen Reiter. Er bangt um seine Zukunft und ist sich keiner Schuld bewusst. Ich habe ihn ruhig gestellt.« Er nahm die Zügel in die Hand.
»Tapfer, mein Freund! Da müssen wir durch«, sprach er mit beruhigender Stimme. Das Pferd folgte ihm. Es lahmte mit dem rechten Vorderhuf.
»Irgendetwas hat ihn erschreckt«, sagte Dr. Pauls, bückte sich, entnahm seiner Tasche eine Tube und bestrich das Hufgelenk mit einer Salbe. »Eine Verstauchung«, bemerkte er.
Um den verunglückten Reiter standen die Polizeibeamten, nahmen den Unfall auf und notierten die Ergebnisse der ärztlichen Untersuchung. Der tödliche Sturz aus dem Sattel auf die mit Schutt befestigte Walderde war unglücklich verlaufen. Das Pferd hatte möglicherweise, aus welchen Gründen auch immer, gescheut.
»Ich kenne das Opfer nicht und hielt es auch für nicht angebracht, seine Taschen zu durchwühlen«, sagte der Arzt und verließ die Unfallstelle, als sich der Bestatter mit einem Gehilfen näherte. Sie trugen einen Sarg.
Greta Sielhoff beobachtete aufgeregt die makabre Szene. Ihre Radtour an dem schönen Maiabend hatte sie zu einem tragischen Unfall geführt, der sicherlich für die Angehörigen des Opfers ernste Folgen nach sich ziehen würde. Sie sah, wie die Männer den Toten in den mit Plastik belegten Sarg hoben und vernahm die kalte Stimme des Bestatters: »Morgen ist Vatertag. Ihn werden wohl die Enkel beim Tee vermissen. Kennen Sie ihn?« Er wandte sich an die Beamten.
»Nein, keineswegs. Er konnte sich nicht mehr vorstellen«, sagte Mannsen ironisch.
Der Bestatter und sein Gehilfe trugen den Sarg davon.
Mannsen und sein Kollege kamen zu ihr. »Zuerst einmal bedanken wir uns für Ihre Mithilfe und Ausdauer. Für das Protokoll benötigen wir Ihre Anschrift«, sagte der Beamte.
»Und Dank für die Betreuung des Pferdes. Es stand unter Schock und hätte für weiteres Unheil sorgen können«, warf der Tierarzt ein. Er griff zur Tasche. »Ich bringe es auf die Weide von Albert Updiek«, sagte er. Das Pferd folgte ihm am Zügel.
»Ade Sielhoff, meine Frau Greta«, sagte der Rentner. »Wir befanden uns auf einer Radtour, und dann das. Wir wohnen in Berumbur, Am Rehweg 7. Wir konnten für den Reiter nichts mehr tun.«
»Danke«, sagte Kommissar Neemann und steckte den Notizblock in seine Uniformjacke.
»Auch Sie kennen den Reiter nicht?«, fragte Kommissar Mannsen.
»Nein, wir sind viel mit dem Rad unterwegs. Er ist uns nie begegnet«, antwortete Greta Sielhoff.
»Einen schönen Feiertag«, sagte Neemann.
»Ihnen auch«, sagte Ade Sielhoff.
Die Beamten gingen davon.
Ade und Greta Sielhoff radelten nach Hause. Es war bereits dunkel.
Mimke Cornelius, geborene Moorkamp, trug an diesem Abend ihren warmen Troyer, ihre abgetragenen Jeans und die leichten Tuchschuhe, die sie von Spanien mitgebracht hatte.
Sie war erst vor wenigen Tagen aus Nerja/Malaga zurückgekommen. Ihr Bruder Jens, Rechtsanwalt und Notar, unterhielt in Oldenburg eine gut gehende Praxis und hatte ihr seine Ferienwohnung in der Calle Frigiliana, dicht am Strand gelegen, mit Meerblick und Sonnenterrasse, überlassen. »Um dort zu vergessen, was nicht zu ändern war«, wie er sich ausgedrückt hatte. Doch Mimke Cornelius war es nicht gelungen, in der hübschen kleinen Küstenstadt an der Costa del Sol den notwendigen Abstand von ihren Problemen zu finden, und sie hatte lange mit sich gerungen, ganz nach Spanien zu ziehen. Vielleicht später, wenn – ja, wenn . . .
Sie legte einen Anthrazitwürfel unter das trockene Holz, entfachte das Feuer im Kamin und sorgte an diesem Mittwochabend vor Christi Himmelfahrt für eine angenehme Wärme.
Draußen zog die Dunkelheit auf. Sie hatte Fotoalben auf den Kamintisch gestapelt, eine Flasche »UrlayerBrunnenknecht« entkorkt und den Römer bereitgestellt. Sie schätzte einen guten Tropfen, war aber beileibe keine Trinkerin. Heute, so fand sie, gab es allerdings einen Grund, den Römer zu füllen, denn sie hatte sich entschlossen, einen Schlussstrich unter dem zu ziehen, was sie an Enttäuschungen hatte verkraften müssen.
Mimke Cornelius war 55 Jahre alt, zu alt, wie sie oft verbittert nach dem Duschen mit dem Blick in den Spiegel feststellte. Sie trug ihr angegrautes Haar schulterlang, war weder
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