13 kleine Friesenmorde
Kirkenö«, fuhr Knutsen ungerührt fort, »Sie haben der Zahlmeisterin am Morgen in der Kabine 382 E die durchnässten Kleidungsstücke, es waren Rock und Bluse, übergeben! Sie waren auf dem A-Deck! Sie lauerten Iris Melchior auf und reichten ihr eine präparierte Cola!«
Die Professorin schaute hasserfüllt durch ihre Hornbrille. Ihre Augen bildeten nur noch schmale Schlitze.
»Ihre Fantasie entspricht der eines Hinterhofschreiberlings!«, zischte sie.
»Frau Dr. Kirkenö, auf der leeren Cola-Dose fanden wir Ihre Fingerabdrücke und die des Mordopfers. Sie haben einen Fehler gemacht! In Bergen bereiteten Sie Ihre verwerfliche Tat vor! Dort kauften Sie eine Cola der Marke ?Kong-Harald?, die es an Bord der ?Polar-Road Star? nicht gibt. Vom medizinischen Standpunkt aus gesehen, mussten wir davon ausgehen, dass nur ein Mann den Mord verübt haben konnte. Die brutale Kraft, die dazu nötig war, bringen Frauen nicht auf. Aber die Sportdiplome im Korridor Ihres Hauses weisen Sie, Frau Dr. Kirkenö, als eine exzellente Judokämpferin aus. Die norwegische Polizei bestätigte unseren Verdacht. Sie haben es zu hohen Gürtelgraden gebracht!«
Die Professorin blieb wider Erwarten standfest. Zum ersten Mal während des Verhörs glitt ihr Blick über die Gesichter der übrigen Anwesenden, so als müsse sie sich vergewissern, wie ihr Punktekonto stand. Als hätte sie Studenten vor sich, fragte sie mit erhobenem Blick: »Haben Sie noch Intelligenz genug, Ihr Märchen fortzuspinnen?«
Der Kommissar war verblüfft.
»Ja«, sagte er fest, »ein Haar, ein sehr langes Haar der Iris Melchior fanden wir in Ihrem Bett. Es ist ein Relikt des einseitigen Kampfes, als Sie dem besäuselten Mädchen den Lebensatem ausdrückten und ihr aus Rache eine Kratzspur über den Unterleib zogen! Ich betone, aus Rache, Frau Dr. Kirkenö!«
Die Professorin blickte den Kommissar kühl an.»Sind Sie am Ende mit ihren märchenhaften Argumenten?«, fragte sie.
»Nein!«, fauchte Knutsen. »Sie sind nicht nur raffiniert, sondern auch wohlhabend! Sie schoben der Studentin einen gefälschten Bankbeleg in die Brieftasche, denn nicht Iris Melchior, sondern Sie haben in der Schweiz ein Konto! Sie steckten der Toten Bargeld in einer unglaublichen Höhe in das Portmonee, um uns auf einen möglichen Rauschgifthandel hinzulenken! Frau Dr. Kirkenö, Sie waren innerlich zerfressen vor Eifersucht, denn Tore Ole Lemm, mit dem das Opfer verkehrte und in Hotelbetten zusammen schlief, war Ihr Mann Tore!«
Kommissar Knutsen hatte eine Schwachstelle der Wissenschaftlerin getroffen. Ihr scharfer Intellekt verlor die Beherrschung über ihr Gefühlsleben. Unerwartet beugte sich die Professorin über die Schreibtischkante, schüttelte sich und weinte ungeniert drauflos, wobei ihr die Hornbrille vom spitzen Gesicht fiel.
Schweigen lag im Verhörzimmer.
Knutsen wischte sich den Schweiß von der Stirn.
In die Stille drang die vom Röcheln unterbrochene Stimme der Frau Dr. Kirkenö.
Das war norwegisch, dachte der Kommissar, als er ein paar Worte im Zusammenhang mit dem Namen Melchior vernahm.
»Reden Sie es sich von der Seele«, forderte er die Professorin auf.
Daraufhin sprach sie in Deutsch, als würde sie zu sich selbst reden.
»Die Fähre nach Vigra fuhr mir viel zu langsam. Ich trug eine Pistole bei mir. Ich hatte herausgefunden, dass mein Mann mit einem geilen, verführerischen Weib inseiner Hütte zusammenlebte, die er mit meinem Geld gekauft hatte. Ich wollte beide erschießen! Aber sie waren nicht anwesend. Die Koffer des Frauenzimmers mit ihrer Kleidung warf ich in den Sund. Dabei fand ich ihre Rückfahrkarte der ?Polar-Road Star? und buchte dieselbe Kabine. Ihre Fotos habe ich zerrissen und mit den Schnipseln das heilige Kreuz geformt, in unserer Landschaft das Symbol für gnadenlose Rache. Ich habe meinem Mann alles gegeben. Seine Stellung, seine Position, seinen Wohlstand, alles verdankt er mir. Ich habe den Bankbeleg gefälscht, ihn zusammen mit Bargeld in das Gepäck des Mädchens geschoben, um die Tat von meiner Person abzulenken. Ich hatte mir vorgenommen, den Mord perfekt auszuführen, denn ich liebe meinen Mann immer noch!«
Das Geklapper der Schreibmaschine setzte wieder ein.
Der Staatsanwalt erhob sich.
»Frau Dr. Kirkenö, Sie können Ihr Geständnis unterschreiben, sich aber auch vorher mit einem Anwalt beraten!«
Die Professorin gab keine Antwort. Sie heulte in sich hinein und lag mit ihrem platten Oberkörper über den Schreibtisch gebeugt.
Weitere Kostenlose Bücher